AfD-Erfolg im Osten : Zwei Köpfe, zwei Meinungen: Die deutsche Ost-West-Frage
Der Erfolg der AfD im Osten ist ein Einschnitt. Die deutsche Ost-West-Frage keimt wieder auf. Der Westen blickt fassungslos nach Neufünfland, doch muss man den Osten überhaupt verstehen? Zwei Meinungen aus Ost und West.
Analyse I Von Stefan Vetter
Wieder einmal schaut der Westen fassungslos nach Neufünfland. Doch worüber wundern sich die Wessis eigentlich?
Wieder einmal schaut der Westen fassungslos nach Neufünfland. Die letzte große Empörungswelle war in den 1990er Jahren über den Osten geschwappt, als dort gegen alle Warnungen vor den „Roten Socken“ stramm links gewählt wurde. Warum die Ossis das taten, war kaum ein Thema. Mit der Westwerdung der PDS geriet dann allerdings auch ihre Funktion als Protestpartei und ostdeutscher Kummerkasten unter die Räder. Diese Lücke füllt jetzt die AfD. Bei den jüngsten Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg hat ungefähr jeder Vierte seine Stimme den Rechten gegeben. Beinah genauso viele, wie die Linken dort in ihren besten Zeiten hinter sich hatten. Nun ist vom braunen Osten die Rede. Typisch Westen.
Anstatt darüber zu sinnieren, was mit den Ossis los ist, könnte man sich ja auch mal fragen, was eigentlich mit den sogenannten Volksparteien Union und SPD los ist. Offenkundig haben sie den Draht zu großen Teilen des Volkes verloren. Im Osten weit stärker als im Westen. Und die AfD hat diesen Nerv getroffen. Nicht nur bei solchen Ossis, die schon immer rechtsextrem waren, sondern vor allem bei Nichtwählern. Die Wahlbeteiligung ist jedenfalls enorm gestiegen. Der Osten ist so politisiert wie seit der Wende nicht mehr. Das ist eigentlich ein Erfolg der Demokratie.
Mehr noch als die Wahlergebnisse sollten die demoskopischen Befunde im Umfeld der jüngsten Urnengänge aufrütteln. 59 Prozent der Brandenburger stimmen der Aussage zu, dass Ostdeutsche Bürger zweiter Klasse sind. Unter den Sachsen sind es sogar 66 Prozent. Das hat auch noch mit der Wendezeit zu tun. In der alten Bundesrepublik ging die Einführung der Demokratie mit dem Wirtschaftswunder einher, in Ostdeutschland mit einer dramatischen Deindustrialisierung. Allein von den gut vier Millionen Arbeitsplätzen unter Treuhand-Aufsicht blieben binnen 20 Monaten nur 1,2 Millionen übrig. Von diesem Turbowandel hat sich der Osten trotz aller Fördermilliarden bis heute nicht erholt. 30 Jahre nach der Einheit sind Löhne und Wirtschaftskraft immer noch geringer und das Rentenrecht nach wie vor zweigeteilt. Das sitzt tief in ostdeutschen Köpfen. Genauso wie die pauschale Verteufelung von DDR-Errungenschaften. Nur zwei Beispiele: Nach der Wende wurden die „Polikliniken“ abgeschafft. Jetzt sind das „Ärztehäuser“. Die Kindergärten wurden als kollektives Töpfchensitzen gebrandmarkt. Heute sind Kitas ganz normal. Im besten Fall wundert sich der Ossi, viele fühlen sich aber auch gedemütigt und frustriert. Ob die Befindlichkeiten im Westen bei gleichem Erfahrungshorizont so viel anders wären? Wohl kaum.
Das alles und noch viel mehr ist sicher keine Entschuldigung, AfD zu wählen, aber zumindest ein Teil der Erklärung. Übrigens: Ihre Galionsfiguren kommen allesamt aus dem Westen, von Höcke über Kalbitz bis Gauland. Könnte man auch mal drüber nachdenken.