Gastbeitrag Wo die CDU steht – und wohin sie sollte

Forsa-Chef Manfred Güllner sagt, dass die Zahlen deutlich für einen „Kurs der Mitte“ sprechen.

 Die große Mehrheit der CDU-Abwanderer seit 2017 verortet sich selbst im politischen Spektrum keineswegs rechts von den CDU-Stammwählern – was sie tun müssten, wenn die Merkel-Kritiker von Merz bis Bosbach recht hätten – sondern eher in der politischen Mitte.

Die große Mehrheit der CDU-Abwanderer seit 2017 verortet sich selbst im politischen Spektrum keineswegs rechts von den CDU-Stammwählern – was sie tun müssten, wenn die Merkel-Kritiker von Merz bis Bosbach recht hätten – sondern eher in der politischen Mitte.

Foto: dpa/Hendrik Schmidt

Bei der Bundestagswahl 2017 wurde die CDU von rund 12,4 Millionen Wahlberechtigten gewählt, die CSU von rund 2,9 Millionen. Zusammen gaben rund 15,3 Millionen Wahlberechtigte CDU und CSU ihre Stimme. Rechnet man die aktuellen Anteile der CDU und der CSU bei der Frage nach der Bundestagswahlabsicht hoch, würde die CDU derzeit nur noch von 9,8 Millionen aller Wahlberechtigten gewählt – also ein Wählerschwund seit 2017 von 2,6 Millionen (oder 21 Prozent).

Auch die CSU würde aktuell von rund 400 000 Wahlberechtigten weniger gewählt (2,5 Millionen) als 2017. Der Wählerschwund ist mit 14 Prozent aber niedriger als der der CDU, das heißt die CSU kann zur Zeit mehr frühere Wähler binden und wieder zu Wahl der Partei bewegen als die CDU.

Die „Abwanderer“ von CDU und CSU seit 2017 wandern nicht – wie in weiten Teilen der CDU unterstellt – vorwiegend zur AfD, sondern zu den Grünen und ins Lager der Nichtwähler. So wollen neun von 100 CDU-Abwanderern derzeit die AfD wählen – viermal mehr aber (37) würden die Grünen wählen, dreimal mehr (29) würden derzeit gar nicht an einer Wahl teilnehmen.

Von 100 Abwanderern der CSU wollen auch nur sieben die AfD wählen – 33 jedoch die Grünen und 36 gar nicht wählen.

Mehrheit der CDU-Abwanderer verortet sich nicht rechts

Die Unterstellung der vielen innerparteilichen Kritiker, durch Merkels „Mitte“-Kurs sei ein Vakuum am rechten Rand der CDU entstanden, das viele frühere CDU-Wähler zur AfD getrieben hätte, hat somit mit der Realität wenig zu tun. Die große Mehrheit der CDU-Abwanderer seit 2017 verortet sich selbst im politischen Spektrum keineswegs rechts von den CDU-Stammwählern – was sie tun müssten, wenn die Merkel-Kritiker von Merz bis Bosbach recht hätten – sondern eher in der politischen Mitte. Auf einer Links-Rechts-Skala von eins (= links) bis zehn (= rechts) verorten sich die CDU-Stammwähler (also jene, die 2017 die CDU gewählt haben und sie auch heute wieder wählen wollen) mit einem Wert von 5,3 etwas „rechter“ als der Durchschnitt aller Wahlberechtigten (4,6). Die Abwanderer zu den Grünen und ins Lager der Nichtwähler sehen sich aber mit Werten von 4,6 beziehungsweise 5,1 eher in der politischen Mitte als die CDU-Stammwähler.

Zwischen der großen Gruppe der CDU-Abwanderer zu den Grünen und der kleinen Gruppe der Abwanderer zur AfD zeigen sich auch deutliche strukturelle Unterschiede. So kommen die Abwanderer zur AfD deutlich häufiger aus dem Osten des Landes als die Abwanderer zu den Grünen. 57 Prozent der Abwanderer zur AfD wohnen in ländlichen Regionen (in Gemeinden bzw. Städten mit weniger als 20 000 Einwohnern). Von den Abwanderern zu den Grünen wohnen hingegen nur 37 Prozent im ländlichen Raum. 75 Prozent der Abwanderer zur AfD sind Männer, während von den Abwanderern zu den Grünen 54 Prozent Frauen sind. 76 Prozent der Abwanderer zur AfD haben pessimistische Wirtschaftserwartungen (von den Abwanderern zu den Grünen nur 45 Prozent). 74 Prozent der Abwanderer zur AfD, aber nur 38 Prozent der Abwanderer zu den Grünen trauen keiner Partei politische Kompetenz zu. Und deutlich mehr Abwanderer zur AfD (47 Prozent) sind konfessionslos als Abwanderer zu den Grünen (31 Prozent). Dass also bei den zur AfD abgewanderten früheren CDU-Wählern – wie oft zu hören – christliche Werte in der CDU vermisst werden, ist insofern wenig wahrscheinlich.

Die Merkel-Kritiker übersehen zudem, dass die Wählersubstanz des bürgerlichen Wählerlagers (CDU, CSU und FDP) nicht während der Kanzlerschaft von Angela Merkel, sondern in den 16 Jahren, in denen der einer „Sozialdemokratisierung“ der CDU unverdächtige Helmut Kohl Kanzler war, dramatisch geschrumpft ist. Bei der ersten Kohl-Wahl 1983 hatte fast die Hälfte aller Wahlberechtigten (49 Prozent) CDU, CSU oder FDP gewählt.

Schwache Umfragewerte können nicht Merkel angelastet werden

Die aktuell schwachen Umfragewerte für die CDU können ebenfalls nicht – wie etwa von Friedrich Merz – Angela Merkel angelastet werden. Ihre hohen Vertrauenswerte haben sich im regelmäßig von forsa im Auftrag von RTL und n-tv durchgeführten Politiker-Ranking im letzten Jahr trotz der Wahlverluste der CDU in Brandenburg oder Thüringen nicht verändert.

Die vorliegenden Daten zeigen alles in allem, dass nicht eine unterstellte Abwanderung früherer CDU-Wähler zur AfD das größte Problem der CDU ist, sondern die Abwanderung großer Teile von ehemaligen Anhängern der Partei aus der liberalen Mitte der Gesellschaft zu den Grünen beziehungsweise die Wahlabstinenz eines weiteren Teils dieser früheren „Mitte-Wähler“.

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