Jahresgutachten Wirtschaftsweise rügen Bundesregierung

Experten beklagen mangelnden Reformeifer. Bundeskanzlerin Angela Merkel weist die Kritik zurück.

Die Mitglieder des Sachverständigenrates, Peter Bofinger (l-r), Lars Feld, Isabel Schnabel, Christoph Schmidt und Volker Wieland sind mit der Arbeit der Bundesregierung nicht zufrieden. (Archivfoto)

Die Mitglieder des Sachverständigenrates, Peter Bofinger (l-r), Lars Feld, Isabel Schnabel, Christoph Schmidt und Volker Wieland sind mit der Arbeit der Bundesregierung nicht zufrieden. (Archivfoto)

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Berlin. Die Konjunktur meint es weiter gut mit Deutschland. Allerdings müsste die Bundesregierung viel mehr daraus machen. Zu diesem Schluss kommen die fünf Wirtschaftsweisen in ihrem aktuellen Jahresgutachten. Schon der Titel "Zeit für Reformen" ist ein Hinweis auf die Unzufriedenheit der Experten. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wies die Vorwürfe am Mittwoch zurück.

Wie lautet die Wachstumsprognose?


"Die zugrunde liegende Wachstumsdynamik bleibt im Wesentlichen erhalten", heißt es in dem Gutachten. Konkret beziffert das auch als Sachverständigenrat bekannte Forschergremium den Zuwachs beim Bruttosozialprodukt in diesem Jahr auf 1,9 Prozent. 2017 soll es um 1,3 Prozent steigen. Die Abschwächung hat in erster Linie mit kalendarischen Effekten zu tun. 2017 gibt es feiertragsbedingt weniger Arbeitstage als in diesem Jahr. Allein das mindert das Wachstum um 0,4 Prozentpunkte. Zu einer ganz ähnlichen Prognose waren die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute in ihrem aktuellen Herbstgutachten gekommen.

Was ist für den Arbeitsmarkt zu erwarten?

Auch hier herrscht weiter Optimismus. Probleme bereiten nach Ansicht der Experten aber die verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit sowie die Integration neuer Arbeitskräfte vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise. So sei mehr als jeder vierte Langzeitarbeitslose älter als 55 Jahre. Insgesamt zwei Drittel seien schon seit über zwei Jahren ohne Job. Ein Gegenmittel sehen die Experten im weiteren Ausbau des Niedriglohnsektors. Die Flüchtlingskosten halten die Experten wegen der guten Konjunktur weiterhin für tragbar.

Wie entwickelt sich die Inflation?


Insbesondere durch den Ölpreisverfall ist die Teuerung in Deutschland mit voraussichtlich 0,4 Prozent in diesem Jahr kaum von Gewicht. Das ändert sich nach Einschätzung der Ökonomen jedoch im nächsten Jahr deutlich: Mit dem Auslaufen des Effekts beim Öl ist mit einem Anstieg der Verbraucherpreise um 1,5 Prozent zu rechnen. Damit liegt Deutschland voraussichtlich über der durchschnittlichen Inflation im gesamten Euro-Raum, die von den Experten auf 1,3 Prozent veranschlagt wird.

Warum steht die Regierung in der Kritik?


Die gut ökonomische Entwicklung der letzten Jahre sei "nicht ausreichend für Reformen genutzt" worden, kritisieren die Wirtschaftsweisen. Dagegen würden Maßnahmen wie der Mindestlohn oder die abschlagsfreie Rente mit 63 die Wirtschaftsentwicklung womöglich sogar schwächen. Zur Sicherung der Altersversorgung fordern die Experten, das Renteneintrittsalter entsprechend der steigenden Lebenserwartung zu erhöhen.

Außerdem machen sie sich für Steuerreformen stark. Die intensive Debatte über Einkommens- und Vermögensungleichheit halten die Ökonomen für überzogen. Für mehr Chancengleichheit sei eine "zielgerichtete Bildungspolitik" bis hin zur Einführung eines verpflichtenden Vorschuljahres notwendig.

Wie reagiert die Kanzlerin?


Angela Merkel sieht keinen Nachholbedarf. "Für uns ist immer Zeit für Reformen", meinte die CDU-Politikerin. Allerdings würden die nicht immer den Vorstellungen der Wirtschaftsweisen entsprechen, räumte Merkel ein. Einig ist sich die Kanzlerin mit den Ökonomen, dass die gute wirtschaftliche Lage "kein Blankoscheck" für die Zukunft sein könne.

Wer sind eigentlich die Wirtschaftsweisen?

Streng genommen handelt es sich um den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Das Gremium wurde 1963 geschaffen mit dem Ziel, durch regelmäßige Gutachten die Urteilsbildung bei allen wirtschaftspolitischen Instanzen zu erleichtern. Die fünf Mitglieder werden auf Vorschlag der Bundesregierung vom Bundespräsidenten für eine Dauer von fünf Jahren berufen.

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