CDU-Parteitag Warum bei Merkels Abschlussrede viel an den Anfang erinnert

Hamburg · Sachlich und selbstbewusst verabschiedet sich Angela Merkel vom Parteivorsitz. Sie ruft die CDU zum Zusammenhalt auf.

„Es war mir eine Ehre“: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach ihrer Rede beim CDU-Bundesparteitag.

„Es war mir eine Ehre“: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach ihrer Rede beim CDU-Bundesparteitag.

Foto: dpa/Christian Charisius

Nach neun Minuten Beifall bewegt Angela Merkel beide Arme weit ausgebreitet nach unten. Wie eine Lehrerin, die die Klasse beruhigen muss. Erst da setzen sich die Delegierten wieder. Man kann sich ungefähr vorstellen, wie andere nach 18 Jahren Parteivorsitz abgetreten wären. Emotionen, Pathos, vielleicht Tränen. Nicht so Angela Merkel. Ihre letzten, wirklich letzten Worte im Amt sind: „Es war mir eine große Freude, es war mir eine Ehre.“ Nur, dass ihre Wangen leicht gerötet sind, deutet auf eine gewisse Rührung hin.

Beginn mit dem Motto des ersten Parteitags

Merkel hat immer ganz persönlich das Motto bestimmt, das über den Parteitagen hing. Sie lässt die Sprüche Revue passieren und fängt mit ihrem ersten Parteitagsmotto an, im Jahr 2000 in Essen. Es hieß „Zur Sache“. Das, sagt sie selbstironisch, sei „typisch Merkel“ gewesen, „knochentrocken“. Etliche Delegierte lachen. Wolfgang Schäuble nicht. Er ist am Ende auch der einzige, der kaum klatscht. Denn Angela Merkel sagt, sie habe die Partei damals übernommen, als sie „politisch, moralisch und übrigens auch finanziell vor dem Aus stand“. Vor ihr war Wolfgang Schäuble der Chef. Er musste wegen der Spendenaffäre zurücktreten.

Keine Abrechnung, aber trotzdem Klärungsbedarf

Merkel sagt, zwar könne man heute von sehr schwierigen Zeiten sprechen, wegen der AfD und wegen der Polarisierung. „Aber die Schicksalsstunde der CDU war vor 18 Jahren“. Starker Tobak.

Eigentlich ist sie gar nicht auf Abrechnung aus. Aber erstens hat sich Schäuble mit seiner Wahlempfehlung für Friedrich Merz weit aus dem Fenster gelehnt, und zweitens will die scheidende Vorsitzende ohnehin ein paar Dinge geraderücken. Denn „Merkel muss weg“ findet neuerdings auch in der CDU Widerhall.

Ein Delegierter aus Baden-Württemberg wirft ihr in der Aussprache zum Beispiel die „Entkernung“ der Partei vor. Er ist nicht der Einzige, der so denkt und redet. Merkel hält dieser Stimmung ihre persönlichen Grundsätze entgegen und bezieht sich auf den Leitspruch, den sie für dieses Mal gewählt hat. „Zusammenführen und zusammen führen“ heißt er und ist anders als vor 18 Jahren in Essen nicht aus Styropor, sondern kommt zeitgemäß aus dem Beamer. Merkel liebt solche Wortspiele. Dieser Satz ist ihr Vermächtnis, ihre Abschiedsbotschaft.

Nur 35 Minuten redet sie, ziemlich schnörkellos. Sie weist darauf hin, dass es ihr immerhin gelungen sei, für die CDU viermal in Folge die Kanzlerschaft zu sichern. Und zum Beispiel 2017 Rot-Rot-Grün zu verhindern. Das sollen die Kritiker mal nachmachen, ist die versteckte Botschaft. Sie ermahnt die Partei.

Man müsse immer versuchen, die Welt auch mit den Augen der anderen zu sehen. Nichts sei nur schwarz-weiß. Es gehe nicht um schnelle Antworten, sondern um tragfähige Lösungen. „Wir grenzen uns ab, aber niemals grenzen wir aus“, sagt sie. Und: „Wir streiten, aber niemals hetzen wir“. Es sind die Grundsätze einer guten Demokratin, die international denkt und Polarisierung ablehnt.

Verteidigung der Flüchtlingspolitik

Angela Merkel steht auch in ihrer Abschlussrede zu ihrer Flüchtlingspolitik, verlangt „Menschlichkeit“. Im Video, das die Parteizentrale zum Abschied zusammengestellt hat, sind die Selfies mit den Flüchtlingen zu sehen. Angela Merkel bereut nichts. Und sie steht auch zu ihrem Stil, mit einer gehörigen Portion Selbstironie. Sie habe es manchmal an „deftigen Angriffe“ gegen den politischen Gegner fehlen lassen, räumt sie ein. Aber ihre bevorzugte Waffe sei nun einmal das Florett. Und manchmal das Schweigen. „Ich weiß wohl, das hat eure Nerven strapaziert.“ Hier brandet spontaner Beifall auf, in dem auch ein großes Verzeihen liegt.

Dem hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier obliegt es, den offiziellen Dank der Parteiführung auszusprechen. Er bittet Angela Merkel zu sich ans Rednerpult. Sie sagt lachend: „Damit habe ich schlechte Erfahrungen gemacht.“ Sie meint die Szene, als Horst Seehofer sie beim CSU-Parteitag in München Ende 2015 auf offener Bühne vorführte. Der Saal ist amüsiert. Diesmal ist aber alles ganz harmlos. Angela Merkel bekommt als Abschiedsgeschenk einen hübsch gerahmten Taktstock. Merkels Vize überreichte ihr den in einem Rahmen gefassten Stock, mit dem Nagano während des G20-Gipfels in Hamburg im Sommer vergangenen Jahres für die Staatsgäste Beethovens Neunte dirigiert hatte.

In einer Widmung bezeichnet Nagano Merkel als „die wichtigste Dirigentin der Weltpolitik.“ Bouffier hatte das Geschenk als Anspielung auf ihre Leidenschaft für die Oper und auf ihre Leistung als Dirigentin der Partei ausgewählt. Merkel hatte auf Parteitagen schon die unmöglichsten Geschenke bekommen, unter anderem 2016 einen Plüschwolf. Nie verzog sie dabei eine Miene, doch diesmal lacht sie sogar ein bisschen. Wie vor 18 Jahren in Essen.

Bouffier würdigt Merkels Erfolge

Auch Bouffier erinnerte an Merkels Erfolge als Bundeskanzlerin und ihre lange Zeit an der Spitze der Partei. „Als Angela Merkel den Vorsitz dieser Partei übernahm, hatten wir noch die D-Mark.“ Noch nicht gegeben habe es dagegen Smartphones, Whatsapp oder Instagram. Die Entwicklungen und Krisen, die auch zu Flucht und Vertreibung geführt hätten, seien nicht absehbar gewesen. Merkel habe die Herausforderungen gemeistert. „Nicht jede Entscheidung fand immer überall nur Beifall“, sagte Bouffier. Aber immer seien sie von allergrößten Bedeutung für Deutschland gewesen. Die Wahl eines Nachfolgers sei auch kein Abschied, sagte Bouffier. „Das ist heute Anlass für Dank, für Anerkennung und Hochachtung für eine in dieser Zeit beispiellose Leistung.“

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