Tarifpoker: Das Ende der Bescheidenheit

Der Abschluss im öffentlichen Dienst hat Signalwirkung für Lohnrunden in anderen Branchen.

Potsdam. Der Tarifabschluss im öffentlichen Dienst signalisiert ein Ende der Bescheidenheit in der Lohnpolitik. Der Staat macht damit trotz Schuldengrenze faktisch Konjunkturpolitik. Die Binnennachfrage wird gestärkt, indem die Kaufkraft der Beschäftigten gestärkt wird.

Das setzt Signale auch in den laufenden Tarifverhandlungen für die 3,5 Millionen Beschäftigten bei Metall und Elektro. Branchen, in denen nach Ostern mit ersten Warnstreiks zu rechnen ist. Ähnliches gilt für die wirtschaftlich starke Chemie-Industrie — dort geht es um die Einkommen von 550 000 Mitarbeitern.

Zwischen bescheidenen 1,5 und 4,1 Prozent bewegten sich in den vergangenen Jahren die Lohnsteigerungen quer durch die Branchen — erheblich niedriger als in den meisten europäischen Nachbarländern. Der Abschluss vom Wochenende für die zwei Millionen Tarifbeschäftigten in den Kommunen und beim Bund mit einer stufenweisen Steigerung um 6,3 Prozent innerhalb der nächsten 24 Monate signalisiert eine Wende.

6,5 Prozent hatten die Gewerkschaft Verdi und die dbb-Tarifunion des Beamtenbundes gefordert — mit einer Tarif-Laufzeit von einem Jahr. Auffällig waren am Samstag die schnellen Zusagen von Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), das Ergebnis ohne Wenn und Aber auf die 350 000 Beamten des Bundes zu übertragen. Das war nicht immer so.

Anfang des Jahres hatte es noch ganz anders geklungen. Regierung und kommunale Arbeitgeber übten sich gebetsmühlenartig in Appellen für Bescheidenheit — für die Städte und Gemeinden mit klammer Finanzlage mehr nur als das übliche Ritual vor Tarifauseinandersetzungen. Doch beim Verhandlungsmarathon in Potsdam wurde schnell deutlich, dass der Bund jetzt den Ton angab — und die Kommunen zu den Mehrausgaben drängte.

Als Verhandlungsführer hatte Friedrich die klare Ansage von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) im Rücken, schnell zu einem Abschluss zu kommen. Da mag der Landtagskampfwahl im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen eine Rolle gespielt haben — Bilder von Streiks mit überlaufenden Mülltonnen und in den Depots verharrenden Bussen passen da nicht. Letztlich überwogen aber strukturpolitische Überlegungen.

Mit ihrem Vorgehen folgt Merkel im Grunde der Argumentation der Gewerkschaften. Weil die unter hohem Spardruck stehenden europäischen Nachbarn weniger in der Export-Nation Deutschland einkaufen können, soll hierzulande die Binnennachfrage angekurbelt werden.

Natürlich musste auch Verdi Kröten schlucken: mit der Forderung nach einer Mindesterhöhung von 200 Euro für Niedriglöhner. Doch unter dem Strich sieht das Ganze auch für diese Gruppe gar nicht so schlecht aus. Eine Reinigungskraft der untersten Tarifstufe wird nach wirksam werdender dritter Erhöhungsstufe ab August 2013 rund 100 Euro im Monat mehr bekommen, eine Erzieherin rund 150 Euro.

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