Sterbehilfe Suizidhilfe: „Der Staat verhält sich zynisch“

Düsseldorf · Ein höchstrichterliches Urteil verpflichtet den Staat, in Extremfällen den Erwerb tödlicher Medikamente möglich zu machen. Der Gesundheitsminister blockiert jedoch die Umsetzung des Urteils. Was ein Anwalt der Betroffenen dazu sagt.

Das Betäubungsmittel Natrium-Pentobarbital und ein Glas Wasser in einem Zimmer des Sterbehilfevereins Dignitas in Zürich.

Das Betäubungsmittel Natrium-Pentobarbital und ein Glas Wasser in einem Zimmer des Sterbehilfevereins Dignitas in Zürich.

Foto: picture alliance / dpa/Gaetan Bally

Darf der Staat unheilbar Kranke mit ihrem Elend allein lassen? Nein, sagt das Bundesverwaltungsgericht, nicht in Extremfällen. Doch das Urteil bleibt trotzdem ohne Folgen. Robert Roßbruch, der  mehrere verzweifelte Betroffene vertritt, ist empört. Und will weiter kämpfen.

Herr Professor Roßbruch, Sie versuchen als Anwalt, Ihren sterbewilligen Mandanten dabei zu helfen, vom Bundesinstitut für Arzneimittel (BfArM) die Erlaubnis zum Erwerb von Natrium-Pentobarbital für die Durchführung eines freiverantwortlichen Suizids zu erhalten. Wie viele Mandanten vertreten Sie in dieser Sache?

Robert Roßbruch: Derzeit sind es fünf Antragsteller/innen. Ursprünglich waren es sieben, zwei Antragstellerinnen sind jedoch in den vergangenen Monaten an ihren schweren Erkrankungen verstorben. Von anderen Verfahren, die von mir nicht betrieben werden, weiß ich nur so viel, dass mindestens 111 Anträge auf Erlaubnis zum Erwerb eines letal wirkenden Medikaments zum Zweck der Selbsttötung (in aller Regel Natrium-Pentobarbital) gestellt worden sind. Mindestens 20 dieser Antragsteller und Antragstellerinnen sind allerdings bereits verstorben.

Was bewegt Ihre Mandanten?

Roßbruch: Ein Beispiel: Einer der Antragsteller ist seit über 20 Jahren an Multiple Sklerose erkrankt und nun fast bewegungsunfähig. Er sitzt in einem Spezialrollstuhl und kann nur noch mittels eines sprach-beziehungsweise mimikgesteuerten Computers telefonieren und Mails schreiben. Er wird 24 Stunden täglich von Assistenten betreut und pflegerisch versorgt. Er ist 47 Jahre alt und möchte auf keinen Fall aufgrund der im Endstadium einhergehenden Lähmung der Atemwege an einem Erstickungstod sterben. Für ihn ist schon jetzt das Leben unerträglich und würdelos geworden, so dass er sich, solange er es noch kann, durch das Betäubungsmittel Natrium-Pentobarbital suizidieren möchte.

Und wie reagiert er darauf, dass ihm das Mittel bislang verweigert wurde?

Roßbruch: Der auf Anweisung von CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn ergangene ablehnende Bescheid des BfArM hat ihn nicht nur fassungslos, sondern tief traurig gemacht. Er kann, für mich völlig nachvollziehbar, nicht verstehen, warum ihm der Staat, obwohl er ein grundgesetzlich geschütztes Recht hierzu hat, praktisch die Möglichkeit verweigert, ganz legal ein tödlich wirkendes Medikament zu erwerben, geschweige denn ein solches ärztlich verordnet zu bekommen. In seinem Fall ist dies besonders problematisch, weil er aufgrund seines körperlichen Zustandes weder in die Schweiz fahren, noch einen harten Suizid begehen kann. Ihm bleibt faktisch nur die orale Einnahme eines entsprechenden Medikaments, das ihm auf eine sehr zynische Art und Weise verweigert wird. Ich kann dem Gesundheitsminister nur dringend empfehlen, einmal den Antragsteller zu besuchen, um sich mit ihm zu unterhalten und ihn in seinem Dasein zu erleben.

Wenn einer Ihrer Mandanten das Mittel bekäme – wie würde die Einnahme wirken?

Roßbruch: Bei einer oralen Einnahme von Natrium-Pentobarbital wird der Sterbewillige nach wenigen Minuten sehr müde, schläft tief und fällt letztlich in einen komatösen Zustand. Eine Lähmung der Atmung führt dann in aller Regel innerhalb von 30 Minuten zum Tod. Auch die den Sterbewilligen begleitenden Angehörigen empfinden dies ausnahmslos als ein sehr würde- und friedvolles Einschlafen. Bei einer ausreichenden Dosis und korrekten Anwendung des Natrium-Pentobarbitals gibt es keine Komplikationen. Der Sterbewillige kann, wenn er körperlich noch in der Lage dazu ist, das todbringende Medikament ohne fremde Hilfe zu sich nehmen. Es wäre zwar wünschenswert, wenn dies im Beisein eines Arztes realisiert würde. Allerdings steht diese ärztliche Assistenz ja gerade durch den § 217 Strafgesetzbuch (geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung) unter Strafe, wenn der Arzt diese Unterstützung wiederholt gewährt.

Was bedeutet das Schreiben des Bundesgesundheitsministeriums von Ende Juni an das BfArM, Anträge auf den Erwerb des Mittels abzulehnen?

Roßbruch: Diese Anweisung ist eine rechtswidrige Missachtung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts. Nach unserer Rechtsordnung ist die Exekutive einschließlich des hier zuständigen Gesundheitsministeriums an die höchstrichterliche Rechtsprechung gebunden. Dies bedeutet konkret, dass die jeweils zuständige Behörde mit der gebotenen Sorgfalt und ohne schuldhaftes Herauszögern jeden Einzelfall zu prüfen und zeitnah zu bescheiden hat. Dies ist bei den 111 gestellten Anträgen nicht der Fall gewesen. Das BfArM hat zum einen erst nach fast eineinhalb Jahren ungefähr die Hälfte der Anträge beschieden. Zum anderen fand keine Entscheidung nach einer gesetzlich vorgeschriebenen Einzelfallprüfung statt, sondern jeder Antrag wurde nach der Anweisung des Bundesgesundheitsministeriums pauschal und unter überwiegender Verwendung von Textbausteinen vom BfArM abgewiesen. Dies ist unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht nur äußerst bedenklich, sondern auch für jeden sich rechtstreu verhaltenden Bürger unerträglich. Ich habe für alle von mir vertretenen Antragsteller/innen Widerspruch gegen den ablehnenden Bescheid eingelegt.

Spielt der Staat/die Politik bei diesem Thema auf Zeit? Durch Nichtstun erledigt sich am Ende jeder der Fälle. Schon aufgrund seines Zustandes hat kein Betroffener einen ausreichend langen Atem.

Roßbruch: Da sprechen Sie ein großes Problem an, da die Zeit nicht für, sondern gegen die Antragsteller/innen läuft. Denn einerseits müssen sie schwerstkrank sein, um nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. März 2017 die Voraussetzungen für die Erlaubnis zum Erwerb eines tödlich wirkenden Betäubungsmittels zu erhalten. Zum anderen ist die Lebensdauer dieser schwerstkranken Menschen naturgemäß nur noch sehr begrenzt, so dass sie die über Jahre dauernden Antrags- und Gerichtsverfahren durch die Instanzen in aller Regel nicht überleben werden. Ein Teufelskreis, der dem Bundesgesundheitsministerium und dem BfArM sehr wohl bewusst ist, weshalb sie systematisch auf Zeit spielen in der begründeten Hoffnung, dass sich die meisten Antragsverfahren „biologisch“ erledigen. Ein behördliches Handeln beziehungsweise Nichthandeln, das zynischer nicht sein kann.

Generell gefragt: Warum muss es aus Ihrer Sicht ein Recht auf Suizid geben?

Roßbruch: Da meine persönliche Ansicht mit der der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) identisch ist, möchte ich diese Frage in meiner Eigenschaft als Vizepräsident der DGHS beantworten. Jeder Mensch hat spätestens seit der Verabschiedung unseres Grundgesetzes im Jahre 1945 ein grundgesetzlich geschütztes Recht auf Suizid oder wie es das Bundesverwaltungsgericht formuliert hat, das Recht, selbstbestimmt zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben enden soll. Dies ergibt sich sowohl aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht als auch aus dem Selbstbestimmungsrecht eines jeden Menschen. Das Recht auf einen freiverantwortlichen Suizid ergibt sich nach dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aber auch aus der europäischen Menschenrechtskonvention, an die jeder Mitgliedsstaat, mithin auch Deutschland, gebunden ist. Es kann nicht sein, dass ein sich als freiheitlicher Rechtsstaat gerierendes Staatswesen mir als Bürger vorschreibt, wie ich zu leben und wann und wie ich zu sterben habe, solange ich hierdurch nicht die Rechte anderer verletzte. Insbesondere ist es nicht die Aufgabe des Staates, einen selbstbestimmten und freiverantwortlichen humanen Suizid zu erschweren oder gar zu verhindern. Dies sind Handlungsweisen, die zu einem autoritären und/oder religiös verfassten Staat passen, nicht jedoch zu einem Staat, der von sich behauptet,ein liberaler und freiheitlicher Rechtsstaat zu sein. Übrigens sehen das regelmäßig zwischen 65 und 75 Prozent der in den letzten Jahrzehnten immer wieder von unabhängigen Meinungsforschungsinstituten zur Frage der Sterbehilfe befragten Bundesbürger genauso.

Durch den § 217 (Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid) hat der Gesetzgeber vor drei Jahren bereits die Möglichkeit der Suizidhilfe stark eingeschränkt. Ist es da nicht konsequent, auch hier alle Türen zu verschließen?

Roßbruch: Die konservative Mehrheit der Bundestagsabgeordneten und die sogenannten Lebensschützer, die gegen meinen Willen mein Leben schützen wollen, die also aus einem Lebensrecht eine Lebenspflicht konstruieren, mögen dies so sehen. Doch hinsichtlich des § 217 Strafgesetzbuch ist noch nicht das letzte Wort gesprochen. Es sind elf Verfassungsbeschwerden beim Bundesverfassungsgericht anhängig. Nach meiner Rechtsauffassung müsste das Gericht zu dem Ergebnis kommen, dass der § 217 verfassungswidrig ist. Nicht nur, weil diese Strafrechtsnorm zu unbestimmt, sondern weil sie unzweifelhaft gegen diverse Grundrechte und gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt. Auch hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 2. März 2017 ganz klar festgestellt, dass ein ausnahmsloses Verbot, Natrium-Pentobarbital zum Zweck der Selbsttötung zu erwerben, in das grundrechtlich geschützte Recht schwer und unheilbar kranker Menschen eingreift. Das Recht, selbstbestimmt darüber zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt ihr Leben enden soll. Auch § 217 beinhaltet übrigens kein ausnahmsloses Verbot der Suizidhilfe. Denn Angehörige und andere nahestehende Personen des Suizidwilligen können diesem nach wie vor bei seinem freiverantwortlichen Suizid helfen, ohne sich dabei strafbar zu machen.

Wenn den Menschen staatlicherseits eine Hilfe versagt wird und andererseits sich auch kaum noch ein Arzt trauen wird, beim Suizid zu helfen (§ 217) – was bleibt dann? Und was sagen oder tun Ihre Mandanten?

Roßbruch: Diejenigen, die es sich finanziell leisten können und körperlich noch dazu in der Lage sind, werden in die Schweiz gehen, um sich auf eine humane Art und Weise zu suizidieren. Andere werden möglicherweise notgedrungen einen sogenannten harten Suizid begehen, also sich vor einen Zug werfen, von einer Brücke stürzen, sich erhängen, ertränken oder erschießen. Und wieder andere werden elend und in einem für sie als würdelos empfundenen Zustand sterben. Ein Zustand, der nicht so recht zu einem freiheitlichen Rechtsstaat passen will und dringend zugunsten der Sterbewilligen und des Rechts auf Suizid beendet werden muss.

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