SPD-Votum: Endspiel im Berliner Postbahnhof

Donnerstagabend endet die Abstimmung über den schwarz-roten Koalitionsvertrag. Am Samstag wird ausgezählt.

Berlin. Das Verteilzentrum Leipzig-Schkeuditz gehört postintern zur Kategorie „XL“ und kann bis zu drei Millionen Briefe pro Tag umschlagen. Da ist die Briefwahl der 474 820 abstimmungsberechtigten SPD-Mitglieder über die große Koalition nur ein Klacks. Die Hallen neben dem Leipziger Flughafen sind in dieser Woche der Hotspot der deutschen Politik. Außerdem noch ein in die Jahre gekommenes Gebäude in Berlin.

In Leipzig kommen alle Wahlbriefe an, die von den Mitgliedern „An den SPD-Parteivorstand, 10453 Berlin“ zurückgesendet werden. Bis Mittwoch waren es schon 300 000, weit mehr als ursprünglich erwartet. Das Porto zahlt die SPD. Überhaupt ist die ganze Aktion nicht billig. Mindestens 1,6 Millionen Euro wird sie die Partei kosten.

Der rote Umschlag wird von Postmitarbeitern geöffnet. Er enthält einen blauen Umschlag mit dem eigentlichen Stimmzettel, der verschlossen bleibt, und eine von dem Abstimmenden unterschriebene eidesstattliche Erklärung, dass er und kein anderer hier sein Kreuzchen gemacht hat. Darauf die Mitgliedsnummer, auch als Strichcode. Die Post scannt diesen ein. Damit ist erfasst, dass dieses Mitglied abgestimmt hat. Doppelabstimmungen können so entdeckt werden. Auch wenn der Vordruck nicht unterschrieben wurde, ist die Stimme ungültig. Bis Donnerstag, 24 Uhr, werden in Leipzig noch Stimmzettel angenommen, danach nicht mehr. Alle rechtmäßig abgegebenen blauen Briefe werden für den Transport des Jahres bereitgemacht.

Irgendwann Freitagabend setzt sich ein Lkw mit der Fracht in Richtung Berlin in Bewegung — zum ehemaligen Postbahnhof in Kreuzberg. Dort warten 400 freiwillige Helfer auf ihren Einsatz, Samstagmorgen geht es los. Mit zwei von der Post geliehenen „Hochleistungsschlitzmaschinen“ werden die Briefe geöffnet, 40 000 je Stunde. Wenn alle abstimmen, dauert allein diese Prozedur mehr als zehn Stunden. Parallel wird ausgezählt.

Das System ist sicherer als die normale Briefwahl. Eine Manipulationsmöglichkeit konnte die SPD allerdings nicht ganz ausschließen. Weil es in den vergangenen Wochen 4500 Neueintritte gab, viele davon via Internet, wurde nicht mehr wie üblich von Ortsvereinsmitgliedern mit jedem Neumitglied gesprochen. Und so konnte sich ein Student damit brüsten, unter einem Phantasienamen eingetreten zu sein und die Abstimmungsunterlagen bekommen zu haben. „Einzelfälle“, heißt es in der Parteizentrale. „Dagegen ist kein Kraut gewachsen.“ Alle Stimmzettel werden aufbewahrt, falls eine Nachzählung nötig sein sollte.

Voraussichtlich Samstagnachmittag wird das Ergebnis verkündet — wahrscheinlich durch Parteichef Sigmar Gabriel. Die Mitglieder der Führungsgremien dürften sich in Bereitschaft halten, falls Sondersitzungen nötig werden. Zum Beispiel, wenn eine Mehrheit die große Koalition ablehnen sollte. Dann wird es Rücktritte hageln. Sonst Ministerposten. Sonntag sollen sie bekanntgegeben werden.

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