Interview SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach: „Steuern auf einen Ärztemangel zu“

Berlin · SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach fordert eine Ausbildungsoffensive für den Medizinerberuf. Es lohne sich immer noch nicht, auf dem Lande zu praktizieren, sagt er.

 „In Deutschland werden viel zu wenige Mediziner ausgebildet“, kritisiert Karl Lauterbach, SPD-Gesundheitspolitiker und selbst Mediziner.

„In Deutschland werden viel zu wenige Mediziner ausgebildet“, kritisiert Karl Lauterbach, SPD-Gesundheitspolitiker und selbst Mediziner.

Foto: dpa/Ralf Hirschberger

Nach der aktuellen Statistik gibt es zwar immer mehr Praxisärzte. Aber immer mehr von ihnen arbeiten in Teilzeit. Nach Einschätzung des SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach ist ein Ärztemangel unausweichlich, falls sich die Zahl der Medizinstudenten nicht deutlich erhöht.

Herr Lauterbach, die Ressource Arzt sei knapp, sagt die Kassenärztliche Bundesvereinigung. Stimmen Sie zu?

Karl Lauterbach: Wir steuern tatsächlich auf einen Ärztemangel zu, weil in Deutschland viel zu wenige Mediziner ausgebildet werden. Wenn man den Bedarf mit der Zahl der Studienabgänger im Fach Medizin ins Verhältnis setzt, dann werden pro Jahr bis zu 5000 Ärzte fehlen. Das ist weniger der geringeren Bereitschaft zur Vollzeitarbeit geschuldet, sondern vor allem der demografischen Entwicklung.

Das müssen Sie erklären.

Lauterbach: In sieben bis zehn Jahren werden die Babyboomer in Rente gehen und mehrheitlich mit chronischen Erkrankungen belastet sein. Das betrifft etwa 1,4 Millionen Menschen pro Jahr. Genau dann kommen wir auch in einen chronischen Ärztemangel, der sich jetzt schon bei den Hausärzten ankündigt. Sie sind ebenfalls Teil der demografischen Entwicklung. Das Durchschnittsalter der niedergelassenen Mediziner liegt bereits bei 55 Jahren.

Lässt sich diese Entwicklung noch aufhalten?

Lauterbach: Wir brauchen eine deutliche Erhöhung der Zahl der Medizinstudenten. Gegenwärtig sind es etwa 10 000. Nötig ist eine Steigerung um 5000 pro Jahr. Denn die angehenden Mediziner, die jetzt mit ihrem Studium beginnen, sind einschließlich ihrer gesamten Fach- oder Hausarztausbildung erst in etwa 15 Jahren mit ihrer Ausbildung fertig.

Immer mehr Mediziner wollen Angestellte und keine niedergelassenen Praxisarzte mehr sein. Läuft da etwas falsch?

Lauterbach: Nein, das ist auch kein Grund zur Sorge. Die angestellten Ärzte arbeiten ja auch zu einem großen Teil in Praxen. Nicht jeder muss eine eigene Praxis haben. Diese Entwicklung beobachten wir zum Beispiel auch bei Anwälten. Entscheidend ist die Zahl der Praxen und nicht die Zahl der Eigentümer pro Praxis.

Bei der Ärzteverteilung gibt es nach wie vor große Unterschiede. Patienten auf dem Lande haben praktisch nichts von dem aktuellen Ärztezuwachs. Wie lässt sich das ändern?

Lauterbach: Die meisten Ärzte zieht es dorthin, wo es viele Privatversicherte gibt, an denen sie deutlich mehr verdienen. Und das ist vornehmlich in den Metropolen der Fall. Menschlich ist das nachvollziehbar. Allerdings darf die Politik das nicht auch noch fördern.

Wie meinen Sie das?

Lauterbach: Trotz einiger Nachbesserungen im Detail gibt es nach wie vor kein Versicherungssystem in Deutschland, bei dem es sich wirtschaftlich lohnen würde, auf dem Land zu praktizieren. Wenn man als Mediziner für die Behandlung von 50 Privatversicherten so viel Honorar bekommt wie für 100 gesetzlich Versicherte, dann läuft etwas schief im System. Lösen lässt sich das durch die Einführung einer Bürgerversicherung, in der private und gesetzliche Krankenversicherung weitgehend verschmelzen.

In dieser Woche wurde auch bekannt, dass 2017 jede zweite von den Krankenkassen geprüfte Klinikabrechnung falsch gewesen ist. Hat Sie das überrascht?

Lauterbach: Nein, denn solche Meldungen sind schon zum Ritual geworden. Auch hier müssen wir die Gesetze verändern. Die Kliniken haben recht, wenn sie zu viel Bürokratie beklagen, die gleichzeitig eine Fehlerquelle bei der Abrechnung ist. Es gibt aber auch Kliniken, die Rechnungen vorsätzlich frisieren, auch weil ihnen dafür keine Strafen drohen. Das muss sich ändern. Abrechnungsbetrug muss auch Konsequenzen für die Klink-Vorstände haben. Ich kämpfe dafür, dass wir noch in dieser Wahlperiode ein Gesetz bekommen, um diese Probleme abzustellen.

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