Interview mit Ex-Ministerpräsident Hans Eichel SPD darf sich „nicht alles gefallen lassen“

Berlin · Hans Eichel (76) war der letzte SPD-Ministerpräsident in Hessen, bevor er Bundesfinanzminister unter Rot-Grün wurde. Und das ist jetzt auch schon 19 Jahre her. Im Gespräch mit dieser Zeitung plädiert Eichel für mehr Ecken und Kanten seiner Partei. Und er stellt die große Koalition infrage.

 Die SPD muss „wieder klar und kantenscharf werden“, sagt Ex-Finanzminister Hans Eichel.

Die SPD muss „wieder klar und kantenscharf werden“, sagt Ex-Finanzminister Hans Eichel.

Foto: picture alliance / dpa/Paul Zinken

Herr Eichel, als Sie 1999 abgewählt wurden, kam die SPD noch auf fast 40 Prozent der Stimmen. Jetzt sind es nur noch halb so viele. Was geht Ihnen da durch den Kopf?

Hans Eichel: Das Wahlergebnis ist kein hessisches, sondern eine Quittung für das Erscheinungsbild der gesamten SPD und die Frage, ob sie überhaupt noch klare langfristige Ziele hat. Und das Ergebnis ist natürlich auch eine Quittung für das desolate Erscheinungsbild der großen Koalition in Berlin.

Viele Genossen sehen das Heil der SPD in einem Austritt aus der Groko. Sie auch?

Eichel: Nein. So einfach ist das nicht. Das Heil der SPD liegt darin, dass sie wieder klar und kantenscharf werden muss. Wenn wir nur noch bei 20 Prozent und noch weniger sind, dann geht es nicht mehr um die Frage, ob wir bestimmte Wähler verprellen, sondern darum, ob wir überhaupt noch wahrgenommen werden. Das bedeutet: Die SPD muss aufhören, es allen recht machen zu wollen.

Was heißt das konkret?

Eichel: Drei Grundsätze müssen wieder ganz klar werden: Die Ausbeutung des Menschen muss beendet werden, ebenso die Ausbeutung der Natur. Und drittens müssen wir wieder glasklar Friedenspartei sein. Aus diesen Grundsätzen lässt sich aktuell alles ableiten. Zum Beispiel, dass sich die SPD ihrer Programmatik besinnt und tatsächlich offensiv für ein vereintes Europa kämpft. Und was die Ausbeutung des Menschen angeht, so muss die Debatte über die Digitalisierung der Arbeit zentral in der SPD geführt werden. Die Digitalisierung muss so gestaltet werden, dass sie Arbeitsplätze besser macht anstatt nur einige wenige Menschen zu Milliardären.

Das alles geht auch, wenn die SPD in der Groko bleibt?

Eichel: Die SPD-Minister leisten durchweg gute Arbeit. Das wird aber alles durch den Streit zwischen CDU und CSU überdeckt. Deshalb sage ich: Es muss in dieser Woche klar werden, ob es mit Angela Merkel noch eine Regierungschefin gibt, die das Vertrauen ihrer Partei hat, so dass man mit ihr belastbare Verabredungen treffen kann. Wir dürfen uns nicht mehr alles in der großen Koalition gefallen lassen. Wir sind nicht die Arbeiter im Maschinenraum, und auf dem Deck streitet sich die Union. Wenn das nicht aufhört, kann die Koalition nicht weiter bestehen.

Merkel will nicht mehr für den CDU-Vorsitz kandidieren, aber Kanzlerin bleiben. Schwächt das nicht ihre Machtposition?

Eichel: Das schwächt die große Koalition. Das ist jedenfalls keine Bestandsgarantie für das Regierungsbündnis. Auch im Hinblick auf seine Arbeitsfähigkeit.

Ist denn Andrea Nahles noch die Richtige im SPD-Vorsitz?

Eichel: Andrea Nahles hat große Verdienste. Aber sie hat auch schwere Fehler gemacht. Der Fall Maaßen hätte ihr so nie passieren dürfen. Allerdings können wir nicht dauernd Personaldiskussionen führen. Gut ist, dass sie jetzt einen konkreten Fahrplan für die weitere Regierungszusammenarbeit vorgestellt hat. Daran wird sich die große Koalition in Berlin messen lassen müssen. Sonst ist sie zu Ende.

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