Regierungserklärung Die Kanzlerin ist mal wieder im Krisenmodus

Berlin. · Angela Merkel blickt in ihrer Regierungserklärung auf viele Probleme – immerhin der Brexit ist einen Schritt weiter. Doch Herausforderungen bleiben genug.

 Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) während ihrer Erklärung.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) während ihrer Erklärung.

Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Wer Angela Merkel im Bundestag zuhört, könnte fast verzweifeln. 20 Minuten spricht die Kanzlerin sehr ernst, sie listet beinahe nur Probleme auf, die Europa und die Welt derzeit in Bedrängnis bringen. Die Suche nach einer Lösung für den geordneten Austritt der Briten aus der EU scheint da nicht allein „die Quadratur des Kreises“ zu sein, wie Merkel betont. Am Ende ruft die Kanzlerin: „Die Zeiten sind unruhig und die Erwartungen an Deutschland hoch. Dessen bin ich mir bewusst.“ Sie ist mal wieder im Krisenmodus.

Es gibt freilich auch Hoffnung an diesem Tag, nicht nur, weil Merkels blauer Blazer an das Blau der Europafahne erinnert. Wie so oft ist die Farbwahl ein Zeichen der Kanzlerin. Nach ihrer Rede tippt sie viel in ihr Handy, und sie verlässt den Plenarsaal, um zu telefonieren. Es bewegt sich etwas. Gegen 11.30 Uhr läuft dann plötzlich die Eilmeldung über den Ticker, die EU und die Briten hätten sich doch noch auf ein Brexit-Abkommen geeinigt. Der Kreis ist sozusagen irgendwie zum Quadrat geworden. Aber nur für den Moment. Denn ob das britische Unterhaus dem „Deal“ am Samstag zustimmen wird, ist alles andere als sicher.

Die Liste der Herausforderungen bleibt auch so lang genug. Merkel nennt die in der EU umstrittenen Beitrittsgespräche mit Albanien und Nord-Mazedonien, gegen die sich vor allem Frankreich sperrt. Die Kanzlerin erhebt darüber hinaus klare Forderungen für die anstehenden Budgetverhandlungen auf EU-Ebene. Denn nach dem Austritt des bisherigen Nettozahlers Großbritannien werde Deutschland übermäßig stark belastet. Es müsse einen Rabatt geben, verlangt sie. Zentral in ihrer Problemrede vor dem Bundestag ist aber dieses Thema: die Türkei und ihr Einmarsch in Nordsyrien.

Der schwierige Umgang mit der Türkei

Relativ hilflos hat Europa dem Treiben des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zusehen müssen. Merkel betont, sie habe auch in persönlichen Gesprächen Erdogan eindringlich dazu aufgerufen, die Offensive gegen die Kurden umgehend zu beenden. Der Militäreinsatz „in dem ohnehin schon so sehr geschundenen Land“ sei ein „humanitäres Drama mit großen geopolitischen Folgen“.

Welche, skizziert die Kanzlerin auch: Die Rolle Russlands und die des Iran würden in der Region massiv gestärkt, die Erfolge im Kampf gegen die Terrororganisation des IS „können so zunichte gemacht werden“. Es ist ein düsteres Bild, das Merkel zeichnet. Sie ergänzt: Die Sicherheitsinteressen Ankaras seien nur auf „diplomatischem Weg zu erreichen“.

Unter den „jetzigen Bedingungen“ werde die Bundesregierung keine Waffen an die Türkei mehr liefern. Nicht ein einziges Mal erwähnt sie denjenigen, der mit dem Abzug der US-Soldaten die ganze Krise ausgelöst hat – US-Präsident Donald Trump.

Was die Bewertung der Lage angeht, ist sich die Opposition weitgehend einig mit der Regierungschefin. Doch unisono fordern ihre Redner ein härteres Vorgehen gegen Ankara. FDP-Chef Christian Lindner ruft die Kanzlerin auf, bei einem „Sondergipfel“ der Nato Erdogan und Trump sozusagen ins Gewissen zu reden. Der Linken-Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch wirft Merkel vor, sie traue sich nicht, die Offensive als völkerrechtswidrig zu brandmarken, weil Deutschland wegen des Flüchtlingsdeals mit der Türkei erpressbar sei. Ähnlich argumentiert der Grüne Anton Hofreiter. Und AfD-Mann Alexander Gauland fordert, die Nato-Mitgliedschaft der Türkei einzufrieren und den EU-Beitrittsstatus aufzuheben. Zu diesem Zeitpunkt tippt Merkel gerade wieder in ihr Handy. Sie bleibt im Krisenmodus.

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