Regierung muss Tarifeinheitsgesetz erheblich nachbessern

Das Verfassungsgericht hat den Zwang zur Tarifeinheit nur mit Auflagen genehmigt. Der Gewerkschaftsstreit geht weiter.

 Das Tarifeinheitsgesetz von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) stand am Dienstag in Karlsruhe mehr auf der Kippe, als das Urteil des Verfassungsgerichts zeigt.

Das Tarifeinheitsgesetz von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) stand am Dienstag in Karlsruhe mehr auf der Kippe, als das Urteil des Verfassungsgerichts zeigt.

Foto: Kay Nietfeld

Berlin. Das Tarifeinheitsgesetz von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) stand am Dienstag in Karlsruhe mehr auf der Kippe, als das Urteil des Verfassungsgerichts zeigt. Denn zwei der sechs Richter wollten es ganz für grundgesetzwidrig erklären. Und auch die Mehrheit der Juristen sah trotz grundsätzlicher Genehmigung noch erheblichen Korrekturbedarf.

Dieser betrifft den Kern des höchst umstrittenen Werkes: Wenn zwei Gewerkschaften in einem Unternehmen konkurrierende Tarifverträge aushandeln und sich nicht verständigen, soll der der größeren gelten. Das sind in der Regel die Industriegewerkschaften des DGB, nicht die kleinen Spartengewerkschaften, die meist im Beamtenbund organisiert sind. Diese hatten gegen das Gesetz geklagt, darunter die Pilotenorganisation Cockpit und die Ärztevereinigung Marburger Bund.

Mit dem Gesetz, das der DGB unterstützt hatte, wollte Nahles dafür sorgen, dass es wegen Machtkämpfen zwischen konkurrierenden Gewerkschaften nicht zu chaotischen Tarifauseinandersetzungen kommt. Bei der Bahn und bei der Lufthansa hatte es solche gegeben. Grundsätzlich sei der Gesetzgeber befugt, Strukturen zu schaffen, „die einen fairen Ausgleich zwischen den Interessen aller Arbeitnehmer eines Betriebes hervorbringen“, sagte Vizegerichtspräsident Ferdinand Kirchhof bei der Urteilsverkündung. Doch sei die Regelung im Detail zu einseitig.

So seien keine Vorkehrungen erkennbar, die die großen Gewerkschaften zwängen, sich wirklich für die Interessen der kleineren Berufsgruppen und ihrer Organisationen einzusetzen. Deren Gewerkschaften würden so benachteiligt. Bis Ende 2018 müsse das neu geregelt werden. In anderen Punkten nahmen die Richter die Arbeitsgerichte in die Pflicht und machten verbindliche Vorgaben. Unklare Regelungen im Gesetz legte der Senat zudem in einer Weise aus, die die unterlegene Gewerkschaft möglichst wenig belasten soll.

Das Arbeitsministerium sprach von „Auflagen zu Detailfragen“, und Nahles erklärte, dies sei ein „guter Tag“ für die Arbeitnehmer. Die Entscheidung zeige, dass der Grundsatz der Tarifeinheit im Einklang mit dem Grundgesetz stehe. „Das Tarifeinheitsgesetz stärkt die solidarische Interessenvertretung durch die Gewerkschaften.“ Jetzt müsse man die Urteilsgründe gründlich und sorgsam analysieren. Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer wiederum sah „einen guten Tag für die soziale Marktwirtschaft“. Die gesetzliche Regelung der Tarifeinheit sei notwendig und vernünftig. An der Präzisierung des Gesetzes werde sich die BDA konstruktiv einbringen.

Wie zerstritten die Arbeitnehmerorganisationen sind, zeigten deren Stellungnahmen. Hochgradig enttäuscht gab sich der Bundesvorsitzende des Beamtenbundes, Klaus Dauderstädt, der der Verkündung direkt in Karlsruhe gefolgt war. Die Entscheidung sei „schwer nachvollziehbar“. Die vom Gericht geforderten Änderungen und Ergänzungen würden das Gesetz kaum praktikabler machen. „Und soweit tatsächlich zahlenmäßig kleinere, aber gleichzeitig hochgradig organisierte Gewerkschaften verdrängt werden, haftet dem Gesetz weiterhin ein eklatantes Demokratiedefizit an.“ Man werde den Kampf gegen das Gesetz weiterführen. Auch eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte schloss Dauderstädt nicht aus. Die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie begrüßte das Urteil hingegen „als ein klares Signal gegen Gruppenegoismen und Spaltung der Arbeitnehmerschaft“. IG BCE-Chef Michael Vassiliadis sagte, damit sei sichergestellt, „dass künftig der Ingenieur nicht gegen den Papiermacher ausgespielt werden kann“.

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