Groko-Verhandlungen Reaktionen: Familiennachzug - Ein fauler Kompromiss?

An der Einigung von SPD und Union über den Nachzug von Familienangehörigen von subsidiär geschützten Flüchtlingen gibt es reichlich Kritik. Eine Auswahl der Reaktionen.

 OVID CDU/CSU und SPD feiernden Kompromiss beim Familiennachzugvon subsidiär geschütztenPersonen jeweils als eigenenErfolg. Die Union sieht derweilenge Grenzen im Hinblick aufHärtefälle. „Neue Härtefallregelungen,die ein Mehr an Zuwanderungbedeutet hätten, gibt esnicht“, sagte CSU-LandesgruppenchefAlexander Dobrindt amDienstag. „Mit der Neuregelungwird der Anspruch auf Familiennachzugfür subsidiär Geschützteendgültig abgeschafft.“

OVID CDU/CSU und SPD feiernden Kompromiss beim Familiennachzugvon subsidiär geschütztenPersonen jeweils als eigenenErfolg. Die Union sieht derweilenge Grenzen im Hinblick aufHärtefälle. „Neue Härtefallregelungen,die ein Mehr an Zuwanderungbedeutet hätten, gibt esnicht“, sagte CSU-LandesgruppenchefAlexander Dobrindt amDienstag. „Mit der Neuregelungwird der Anspruch auf Familiennachzugfür subsidiär Geschützteendgültig abgeschafft.“

Foto: Patrick Pleul

Berlin. Befürworter einer Neuauflage der großen Koalition können Hoffnung schöpfen, nachdem die Parteispitzen von Union und SPD sich nach langem Tauziehen auf einen Kompromiss beim Reizthema Familiennachzug geeinigt haben: Ab August sollen Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus ihre Familienangehörigen nach Deutschland nachholen dürfen — bei einem festen Kontingent von 1000 Nachzüglern pro Monat. Darüber hinaus halten die Unterhändler an der bereits bestehenden Härtefallregelung fest, die in der Praxis bislang allerdings kaum angewandt wurde.

Was ein Großteil der Wähler von diesem Kompromiss hält, darüber kann Manfred Güllner, Geschäftsführer des Sozialforschungsinstituts Forsa, nur spekulieren — doch hat er eine Vermutung: „Ich glaube, dass der Familiennachzug von Geflüchteten von der Politik gewaltig aufgebauscht wird, wobei die Debatte an der Mehrheit der Wähler in Deutschland vorbeigeht. Die Menschen ärgern sich eher darüber, dass ihre Kinder marode Schulen besuchen müssen“, sagt der Meinungsforscher gegenüber unserer Zeitung.

Fällt letzteres Beispiel auch in die Zuständigkeit der Kommunen, sieht Güllner die Integration geflüchteter Menschen als Gesamtaufgabe als weitaus bedeutender an als die Diskussion um den Familiennachzug von subsidiär geschützten Personen. „Das ist nur ein kleiner Teilaspekt, in den die Politik unglaublich viel Energie investiert.“

Ähnliche Töne schlägt Hans-Peter Klös, Geschäftsführer beim Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln, an, der in der Diskussion vornehmlich eine „Stellvertreterdebatte als Signal für die Begrenzung von Zuwanderung“ sieht. „Quantitativ und auch wirtschaftlich ist die Regelung weniger bedeutsam, administrativ dagegen um so aufwendiger“, sagt Klös in Erwartung eines bürokratischen Monstrums: „Deutschland hat mit Kontingenten und deren zentralen Vergaben bisher wenig Erfahrungen gesammelt. Jedes Nachzugsverfahren müsste deshalb durch das Nadelöhr der Ausländerbehörden und des Vorsprechens bei den Botschaften zur Erteilung eines Visums.“

Zudem sei unklar, nach welchen humanitären Gründen die 1000 Plätze zu vergeben sind und wer nicht im Rahmen des Kontingents nach Deutschland kommen darf. Es seien noch viele Fragen zu klären, wenn man bei der Vergabe „nicht nach dem Windhundverfahren vorgehen“ wolle.

Auf grundsätzliche Ablehnung stößt der Kompromiss in Form einer Begrenzung des Familiennachzugs beim Deutschen Caritasverband: „Die Menschen haben sich auf das Ende der zweijährigen Aussetzung des Familiennachzugs verlassen. Jetzt sollen sie noch länger ausharren müssen oder ihre Familienangehörigen gar nicht nachholen können“, moniert dessen Präsident Peter Neher. Neben hohen psychischen Belastungen für die Betroffenen werfe das Vorgehen auch „erhebliche verfassungsrechtliche Fragen“ auf.

Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, ist hingegen skeptisch, ob die Kommunen die Integration der Ayslsuchenden mit eingeschränktem Schutzstatus und potenziellen Nachzüglern stemmen können. Denn erfolgreiche Integration brauche „Wohnraum, Sprachkurse, soziale Teilhabe, Kitas, Jobs und Schulen“, die „knappe Güter“ seien. Andererseits seien auch familiäre Rahmenbedingungen für die Geflüchteten essenziell, sagte Dedy im Hauptausschuss des Bundestages am Montag.

Der Deutsche Städtetag werde keiner Politik die Hand reichen, die allein auf die Aussetzung des Familiennachzugs oder aber auf dessen gänzlichen Freigabe setze. Denkbar sei, den Familiennachzug weiter auszusetzen und Ausnahmen in bestimmten Maß zuzulassen. Kritisch äußert sich Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, und fragte rhetorisch: „Wie soll eigentlich jemand, der uns nicht einmal seine eigene Identität sicher nachweisen kann, den Nachweis darüber führen, wer alles zu seiner Familie gehört?“

Gegenwind für den Kompromiss gibt es auch von juristischer Seite — wenngleich aus anderen Gründen: „Das ist von der SPD unfassbar schlecht verhandelt worden“, konstatiert Gisela Seidler, Vorsitzende des Ausschusses Ausländer und Asylrecht beim Deutschen Anwaltsverein. Wäre die bis zum 18. März befristete Aussetzung des Familiennachzugs formal ausgelaufen, hätte es aus Sicht der Rechtsanwältin gar keines Kompromisses bedurft. Durch die neue Regelung werde aus einem Rechtsanspruch geflüchteter Menschen ein reines Ermessen gemacht, argumentiert sie in einem Interview. „Dieser Gesetzesentwurf taugt gar nichts.“

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