Personalnot im sozialen Dienst: „200.000 Pflegekräfte gesucht“

Experte Bernd Meurer beklagt hohe Hürden bei der Anwerbung ausländischer Kräfte. Philippinerinnen sollen helfen.

Berlin. In kaum einem anderen Berufszweig herrscht soviel Personalnot wie im Pflegebereich. Den Mangel lindern sollen jetzt Pflegekräfte von den Philippinen. Dazu schloss die Bundesagentur für Arbeit vor wenigen Tagen einen Vertrag mit der dortigen Arbeitsverwaltung ab.

Nach Einschätzung des Präsidenten des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste (bpa), Bernd Meurer, wird der Plan jedoch durch hohe bürokratische Hürden entwertet.

Herr Meurer, die Bundesregierung hat eine Ausbildungsoffensive für einheimische Pflegekräfte gestartet. Warum jetzt ein Vertrag mit den Philippinen?

Bernd Meurer: Schon jetzt fehlen in Deutschland 30.000 Pflegefachkräfte. Um das Pflegeproblem in den Griff zu kriegen, brauchen wir in den nächsten zehn bis 15 Jahren etwa 200.000 weitere Fachkräfte. Mit dem inländischen Potenzial allein ist das nicht zu schaffen.

Was heißt Pflegemangel konkret?

Meurer: Das heißt zum Beispiel, dass Pflegeheime eine Aufnahme ablehnen müssen und ambulante Pflegedienste Familien mit Pflegebedürftigen nicht unterstützen können. Manchen Pflegeheimen wird die Aufnahme alter Menschen inzwischen von der Heimaufsicht untersagt, weil sie die Fachkraftquote von 50 Prozent nicht erfüllen.

Warum sollten ausgerechnet Pflegekräfte von den Philippinen das Problem entschärfen?

Meurer: Im Grundsatz ist der Mangel an Pflegekräften überall in Europa zu beobachten. Das liegt an der demographischen Entwicklung, also der wachsenden Alterung der Bevölkerung. In Regionen wie Südostasien ist die Bevölkerungspyramide dagegen genau umgekehrt. Auf den Philippinen herrscht sogar ein Überschuss an Pflegefachpersonal. Diese Leute verfügen über eine viereinhalbjährige Ausbildung, die weltweit hohe Akzeptanz genießt. Damit können sie sogar Assistenzleistungen der Ärzte übernehmen. Außerdem haben wir in den 70er Jahren gute Erfahrungen gemacht, als man einige 1000 philippinische Krankenschwestern nach Deutschland holte.

Rechnen Sie mit einem Ansturm?

Meurer: Nein. Die ganze westliche Welt wirbt praktisch um Pflegefachkräfte, und da ist Deutschland schlecht aufgestellt. Gerade Fachkräfte aus Asien können das, was sie gelernt haben, in England oder Schweden wesentlich besser umsetzen als bei uns. In Deutschland müssen sie erst einmal ein sechsmonatiges Pflege-Praktikum im Krankenhaus absolvieren. Dabei wird dort gar nicht mehr ganzheitlich gepflegt, weil die Patienten in aller Regel schnell entlassen werden.

Was muss sich ändern?

Meurer: Deutschland muss von dem arroganten Anspruch wegkommen, diesen hervorragend qualifizierten Leuten das Pflegen beibringen zu wollen. Wenn schon Praktika erforderlich sind, dann bitte in den Pflegeheimen und ambulanten Einrichtungen. Dafür müssen die Länder ihre gesetzlichen Anerkennungsverfahren ändern.

Und Sprachbarrieren?

Meurer: Natürlich ist das eine Hürde. Aber die gibt es bei anderen Zuwanderern auch. Wer von den Philippinen zu uns kommt, um zu arbeiten, der weiß, dass gute Deutschkenntnisse dafür eine Schlüsselvoraussetzung sind. Aber wir sollten auch die Kirche im Dorf lassen.

Was meinen Sie damit?

Meurer: Bis auf Hessen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen verlangen alle Bundesländer von den ausländischen Pflegekräften einen sprachlichen Mindeststandard, mit dem man ein Germanistikstudium beginnen könnte. Das ist doch verrückt. Bis diese Leute so weit sind, haben sie ihren Beruf verlernt.

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