Berlin Oppositionsbündnis aus FDP, Grüne und Linke erklagt 85.000 Menschen ihr Wahlrecht

Berlin · Das Verfassungsgericht soll Schwerstbehinderten und Straftätern schon zur Europawahl die Stimmabgabe ermöglichen.

 Mehr als 80 000 Menschen mit Behinderung droht der Ausschluss von der Europawahl am 26. Mai.

Mehr als 80 000 Menschen mit Behinderung droht der Ausschluss von der Europawahl am 26. Mai.

Foto: dpa/Angelika Warmuth

FDP, Grüne und Linke haben kurzfristig im Bundestag ein recht ungewöhnliches Bündnis gebildet, um rund 85 000 Behinderten und Straftätern in Deutschland schon zur Europawahl am 26. Mai die Abgabe ihrer Stimme zu ermöglichen. Sie stellten beim Verfassungsgericht in Karlsruhe einen Antrag auf eine einstweilige Anordnung und baten um eine Eilentscheidung. Denn am 12. April werden die Wählerregister geschlossen; bis dahin muss das Problem geklärt sein.

Neue Reform greift zu spät

Eigentlich gibt es im Bundestag keine prinzipielle Meinungsverschiedenheit in dieser Frage. Der bisherige Wahlausschluss von Menschen, die unter Betreuung in allen Angelegenheiten stehen, meist Schwerstbehinderte oder schwere Pflegefälle, sowie von Straftätern, die in psychiatrischen Krankenhäusern untergebracht sind, soll aufgehoben werden. Das hatte der Bundestag schon letzte Woche Freitag mit den Stimmen der Koalition aus Union und SPD beschlossen. In Zukunft dürfen auch behinderte Menschen, die in allen Angelegenheiten betreut werden, wählen und gewählt werden. Hintergrund war ein Verfassungsgerichtsurteil vom 29. Januar, das die bisherige Regelung im Bundeswahlgesetz als diskriminierend einstufte.

Der Streit dreht sich um den Termin der Gesetzeskorrektur. Die Koalition will sie zum 1. Juli in Kraft treten lassen, also erst nach der Europawahl im Mai. Sie argumentiert,  dass die Venedig-Kommission der EU, die sich mit prinzipiellen Fragen von Demokratie und Menschenrechten befasst, Änderungen im Wahlsystem nur gestattet, wenn sie mindestens ein Jahr vor einem Urnengang  erfolgen. Das soll unzulässige Einflüsse verhindern.

Britta Haßelmann, Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag, nannte dieses Argument „nicht stichhaltig“. Der Kodex der Venedig-Kommission ziele auf  Wettbewerbsverzerrungen und Manipulationen. Darum gehe es hier jedoch in keiner Weise. Friedrich Straetmanns, Rechtspolitiker der Linken und selbst Richter, verwies auf das Datum der Karlsruher Entscheidung. Dass das Urteil so früh im Jahr verkündet worden sei, zeige, dass die Richter auch die Europawahl im Blick gehabt hätten. „Sonst hätten sie das geschoben.“ Zudem seien die Wahlgesetze für die Bundestags- und die Europawahl wortgleich. Der FDP-Rechtspolitiker Stephen Thomae sagte, für eine rechtzeitige Änderung „wäre nur ein Knopfdruck notwendig“.

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