NSU-Prozess: Nebenkläger beantragen Video-Übertragung in zweiten Saal

Der NSU-Prozess ist verschoben, aber das Dilemma bleibt: Der Gerichtssaal A 101 ist für den Ansturm von Öffentlichkeit und Medien zu klein. Nun ist die Debatte um eine Übertragung der Verhandlung in einen anderen Saal erneut entbrannt.

München (dpa). Nach der Verschiebung des NSU-Prozesses haben Nebenklageanwälte das Gericht offiziell zur Übertragung des Verfahrens in einen zweiten Saal aufgefordert. Ein entsprechender Antrag sei am Mittwoch beim 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) München eingereicht worden, sagte Anwalt Alexander Kienzle.

Er gehe davon aus, dass das Gericht vor dem neuen Termin für den Prozessbeginn am 6. Mai über den Antrag entscheide. Die Anwälte seiner Kanzlei vertreten die Hinterbliebenen des Kasseler NSU-Opfers Halit Yozgat. Zuvor hatten Politiker und Medienvertreter erneut vorgeschlagen, für den Prozess einen größeren Saal zu wählen.

Insgesamt gibt es im OLG-Saal A 101 nur gut 100 Plätze für die Öffentlichkeit. Es wird davon ausgegangen, dass 50 davon auch in dem neuen Akkreditierungsverfahren für die Presse reserviert werden. Details dazu waren auch am Mittwoch nicht bekannt. Eine OLG-Sprecherin sagte, sie wisse noch nichts. Die Entscheidung liegt beim Senat unter Vorsitz von Manfred Götzl.

Götzl hatte den für Mittwoch geplanten Prozessbeginn am Montag überraschend verschoben und ein neues Akkreditierungsverfahren angekündigt. Das Bundesverfassungsgericht hatte zuvor auf Klage der türkischen Zeitung „Sabah“ hin entschieden, dass insbesondere türkische Medien eine angemessene Zahl von Sitzplätzen erhalten müssen. „Das Bundesverfassungsgericht ist darauf eingegangen, dass ein sehr großes Interesse an dem Prozess besteht“, sagte Kienzle. „Wir sind der Überzeugung, dass die 100 Sitzplätze nicht ausreichen, um eine angemessene Öffentlichkeit im Gericht herzustellen.“

Juristen und Politiker hatten im Streit über die beschränkten Plätze für Presse und Öffentlichkeit mehrfach eine Übertragung in einen zweiten Saal verlangt. Manche Juristen warnten jedoch hier vor rechtlichen Problemen. Die Nebenkläger bekommen nach der Terminverschiebung ihre dadurch entstandenen Unkosten erstattet. Viele hatten bereits Flüge oder Fahrkarten nach München gekauft oder Hotels reserviert.

Beim Oberlandesgericht gingen bereits erste Anträge auf Erstattung ein, wie die für die Betreuung der Nebenkläger zuständige Beamtin sagte. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) kündigte an, den türkischen Botschafter wegen des missglückten Prozessbeginns vor dem Münchner Oberlandesgericht zu einem Gespräch einladen.

Er wolle mit ihm sprechen, wenn er sich wegen des Prozesses in München aufhalte, sagte Seehofer der „Passauer Neuen Presse“ (Mittwoch). „Mir liegt an der Unabhängigkeit der Gerichte sehr, sehr viel“, sagte Seehofer. „Wenn vom Verfahren her Dinge als nicht optimal kritisiert werden, dann kann eine Regierung nur sagen, sie bedauert einen solchen Verlauf. Aber wir können deshalb die klare Trennung zwischen der Exekutive, also der Regierung, und der Judikative, nämlich einem Gericht, nicht aufgeben.“

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