Neumitglieder-Kampagne: Jusos massiv in der Kritik

Parteivize Malu Dreyer kritisiert Parteinachwuchs der SPD für Idee kurzzeitiger Mitgliedschaften.

 Deutlicher Protest: Jusos des Landesverbands Nordrhein-Westfalen demonstrierten am 16. Januar vor einem Hotel in Düsseldorf gegen eine Neuauflage der großen Koalition.

Deutlicher Protest: Jusos des Landesverbands Nordrhein-Westfalen demonstrierten am 16. Januar vor einem Hotel in Düsseldorf gegen eine Neuauflage der großen Koalition.

Foto: Rolf Vennenbernd

Berlin/Düsseldorf. Können die Jusos die große Koalition mit ihrer Neumitglieder-Kampagne kippen? Die Chancen dafür sinken, denn die SPD-Führung plant, per Stichtag festzulegen, bis wann man eingetreten sein muss, um über einen möglichen Koalitionsvertrag abstimmen zu dürfen — und ab wann nicht mehr. Dem Vernehmen nach sind der 29. Januar oder aber eine Woche später im Gespräch. Allerdings wird im Willy-Brandt-Haus darauf verwiesen, dass ein Stichtag notwendig und nichts Neues sei.

Wegen der Juso-Aktion rumort es an der Basis. Wenn man derzeit mit Genossen in Berlin spricht, dann berichten sie nichts Gutes aus ihren Wahlkreisen. Der Ärger über den Parteinachwuchs sei besonders bei älteren Mitgliedern groß, erzählt ein Abgeordneter. Der Tenor sei: „Sozialdemokrat ist man aus Überzeugung, nicht für zehn Euro und nicht für zwei Monate.“ Mit diesem Angebot, zwei Mindestmonatsbeiträge, hatten die Jusos speziell aus Nordrhein-Westfalen Neumitglieder geködert, damit sie dann gegen einen möglichen Koalitionsvertrag mit der Union stimmen. Man könne dann ja wieder austreten. Diese Kampagne, berichtet ein anderer SPD-Mann, sei vor Ort „verheerend“ angekommen.

Am Mittwoch zumindest übte sich der Chef der NRW-Jusos, Frederick Cordes, in Selbstkritik, der mit seiner markigen Aussage „Einen Zehner gegen die Groko“ in den Reihen der Genossen viel Staub aufgewirbelt hatte. „Ich habe diesen Satz mit einem Augenzwinkern formuliert - teilweise ist das falsch interpretiert worden“, ruderte der Oberhausener im Gespräch mit dieser Zeitung zurück. Es sei nie geplant gewesen, die Äußerung zum Motto einer Kampagne gegen die große Koalition zu machen. In dem Interview hatte Cordes angeregt, mit einem Mitgliedsbeitrag für zwei Monate möglichst viele Mitglieder in die Partei zu holen, um beim Mitgliederentscheid gegen die Groko stimmen zu können.

Im Nachgang äußerten SPD-Anhänger bei Twitter die Sorge, dass der Aufruf etwa von AfD-Mitgliedern missbraucht werden könne, wenn diese gezielt in die SPD einträten, um ihr zu schaden. „So ein Szenario halte ich für unrealistisch. Kaum eine Partei hat so klar immer Position gegen die AfD bezogen wie die SPD. Ich sehe aber ein, dass ich mich in diesem Interview missverständlich ausgedrückt hatte“, räumt Cordes ein. Kollegiale Kritik habe es vom SPD-Landesvorsitzenden Michael Groschek gegeben, der Cordes in einem Telefonat zur Mäßigung aufgefordert hatte. Von ihrem Nein zur Groko wolle die Mehrheit der NRW-Jusos jedoch nicht abrücken, macht Cordes deutlich: „Die Erneuerung der Partei steht für uns an erster Stelle.“

Grundsätzlich hat jeder Ortsvereinsvorstand über einen Antrag zu entscheiden. In der Parteisatzung heißt es dazu, der Vorstand muss über den Aufnahmeantrag innerhalb eines Monats befinden. Bei Ablehnung kann ein Bewerber dann binnen eines Monats beim Kreisvorstand Einspruch erheben, der wiederum endgültig bewertet. Und Mitglied ist man auch erst dann, wenn danach die Entscheidung förmlich im Zentralcomputer registriert worden ist. Am Ende des Verfahrens dürfte die Mitgliederbefragung längst Geschichte sein.

Seit dem Bonner Sonderparteitag der SPD und dem Beginn der Neumitgliederkampagne der Jusos soll es bereits mehr als 1700 Eintritte gegeben haben. In Berlin wird zwar darauf verwiesen, dass das bei einer Mitgliederstärke von rund 443 000 kaum ins Gewicht falle. Dennoch spart man in der SPD-Führung nicht mit Kritik an der Aktion des Parteinachwuchses. Die Vize-Vorsitzende Malu Dreyer sagte unserer Redaktion: „Kurzzeitige Mitgliedschaften, die dazu dienen, eine parteiinterne Abstimmung zu beeinflussen, entsprechen nicht unserem Verständnis von innerparteilicher Demokratie.“

Gleichzeitig heißt es in der SPD, um die Parteigänger rechtzeitig anzuschreiben und sie zum Entscheid einzuladen, müsse ein Stichtag ohnehin festgelegt werden. „Wie genau diese Regelung ausgestaltet werden soll, wird am Montag im Parteivorstand beraten werden“, so Dreyer. Dann sollen auch die Richtlinien für den Mitgliederentscheid festgelegt werden, darunter ein Quorum von 20 Prozent, also die Höhe der Mindestbeteiligung.

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