Nach Chemnitz Wann eine AfD-Beobachtung durch den Verfassungsschutz möglich ist

Berlin · Seit Chemnitz befassen sich die Verfassungsämter mit der Frage, ob sie die AfD ins Visier nehmen sollen. Für die Beobachtung einer Partei gibt es aber hohe Hürden - die wichtigsten Fragen und Antworten.

Parteien wie die AfD können nur unter bestimmten Umständen beobachtet werden.

Parteien wie die AfD können nur unter bestimmten Umständen beobachtet werden.

Foto: dpa/Paul Zinken

Unter welchen Umständen darf der Verfassungsschutz Parteien beobachten?

Die Verfassungsschutzämter in Bund und Ländern können den gesetzlichen Bestimmungen zufolge Nachrichten und Unterlagen über Bestrebungen sammeln, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Zu dieser gehören etwa die Achtung der Menschenrechte, die Gewaltenteilung, das Mehrparteienprinzip sowie das Handeln der Verwaltungen nach Recht und Gesetz.

Auch eine "ungesetzliche Beeinträchtigung" der Amtsführung der Verfassungsorgane von Bund und Ländern oder sicherheitsgefährdende Aktivitäten können eine Beobachtung rechtfertigen. Das alles trifft nach Einschätzung von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) auf die AfD bislang nicht zu.

Inwiefern können Teile der AfD beobachtet werden?

Der Verfassungsschutz in Thüringen nimmt den dortigen AfD-Landesverband unter die Lupe. Als Begründung führt die Behörde Verbindungen der Partei zu Rechtsextremisten an. Letztere hätten an dem sogenannten Schweigemarschs in Chemnitz teilgenommen, den der Thüringer Landesverband mitorganisiert habe. Die Landes-AfD wurde deshalb zum Prüffall erklärt.

In Bremen und Niedersachsen werden die Landesverbände der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative durch die Landesverfassungsschutzämter beobachtet. Beide Länder verweisen auf Verbindungen des AfD-Nachwuchses zur Identitären Bewegung, die sich ebenfalls im Visier des Verfassungsschutz befindet. Diese Gruppierung propagiert eine geschlossenen "europäische Kultur", deren "Identität" vor allem durch eine angebliche Islamisierung bedroht sei.

Für eine Beobachtung infrage kommen auch Teile einer Bundespartei: Im Bericht des Bundesverfassungsschutzes - auch dem diesjährigen - taucht mit schöner Regelmäßigkeit die Kommunistische Plattform in der Linkspartei auf. Und der Verfassungsschutz hatte jahrelang prominente Linken-Politiker im Visier, darunter den heutigen Ministerpräsidenten Thüringens, Bodo Ramelow.

Kann sich eine Partei oder ein Mitglied gerichtlich gegen die Beobachtung durch den Verfassungsschutz wehren?

Das Beispiel Ramelow zeigt, dass dies durchaus möglich ist: Das Bundesverfassungsgericht entschied 2013, dass Ramelow nicht mehr länger vom Inlandsgeheimdienst beobachtet werden dürfe. Damit wurde eine vorangegangene gegenteilige Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aufgehoben.

Welche Formen der Beobachtung kommen infrage?

Der Verfassungsschutz kann zunächst öffentlich zugängliche Quellen wie Medienberichte, Programme oder Aufrufe sammeln und auswerten. Nach eigenen Angaben gewinnt das Bundesamt den größten Teil seiner Erkenntnisse auf diese Weise. Wenn sich der Verfassungsschutz mit dieser Methode kein vollständiges Bild schaffen kann, darf er zu nachrichtendienstlichen Mitteln greifen. Dazu gehört der Einsatz von V-Leuten oder die Überwachung durch Bild- und Tonaufzeichnungen. Diese Methoden kommen aber grundsätzlich eher für Spione oder etwa Islamisten infrage.

Welche Parteien werden bislang vom Verfassungsschutz beobachtet?

Der Bundesverfassungsschutz führt in seinem diesjährigen Bericht neben der Kommunistischen Plattform noch weitere "offen extremistische Bestrebungen" bei der Linken auf, darunter die Arbeitsgemeinschaft Cuba Si, die Antikapitalistische Linke und das Marxistische Forum.

Im Visier des Verfassungsschutzes befinden sich auch mehrere andere Parteien aus dem rechts- oder linksextremistischen Spektrum. Der Bericht des Bundesamtes listet die NPD, "Die Rechte" und die Partei "Der III.Weg" auf. Beim Linksextremismus finden sich die Deutsche Kommunistische Partei (DKP), die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) und die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP).

Führt die Beobachtung einer Partei zu deren Verbot?

Nicht unbedingt. Wenn eine Partei von den Behörden als verfassungsfeindlich oder extremistisch eingestuft wird, heißt das noch lange nicht, dass sie auch verboten wird. Dies zeigt sich am Beispiel der NPD, bei der ein entsprechendes Verfahren gleich zweimal scheiterte. Denn für ein Verbot gelten noch höhere Hürden als für die Beobachtung. Voraussetzung für ein Verbot ist nämlich zusätzlich, dass die Partei "aggressiv-kämpferisch" auftritt.

(AFP)
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