Merkel: Einheit keine Selbstverständlichkeit

Bonn (dpa) - Am 21. Jahrestag der Wiedervereinigung haben Spitzen von Politik und Gesellschaft zu weiterem Engagement für die deutsche Einheit und für den Zusammenhalt der Gesellschaft aufgerufen.

Die Einheit sei „keine Selbstverständlichkeit“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Montag in Bonn am Rande des zentralen Festakts im ehemaligen Bundestagsplenarsaal. Sie müsse verteidigt werden, „dass es so bleibt in einem vereinten gemeinsamen Europa“.

Merkel rief zugleich dazu auf, die Unterschiede, die es in den „Lebenswirklichkeiten“ zwischen alten und neuen Bundesländern immer noch gebe, zu überwinden. „Wir sind weit vorangekommen, aber wir haben es noch nicht ganz geschafft.“

Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) würdigte die Wiedervereinigung als „Sieg der Demokratie über die Diktatur“. Die Erinnerung daran dürfe auch 21 Jahre später „nicht zu einer Routine werden, wir müssen sie lebendig halten“, sagte die Bundesratspräsidentin beim Festakt. Für die Zukunft forderte Kraft mehr Bürgerbeteiligung „in Richtung Demokratie 2.0“. „Was sich zum Teil als Wut auf "die da oben" artikuliert, muss in einen konstruktiven Austausch gewandelt werden. Mut statt Wut!“

In Deutschland sei das „Projekt Einheit“ besser und schneller vorangekommen als von vielen erwartet, resümierte Kraft. Immer mehr junge Menschen könnten mit den Kategorien West und Ost nichts mehr anfangen. Das zeige, „dass Deutschland wirklich zusammengewachsen ist“.

Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, warnte in seiner Festrede davor, die Mitte der Bevölkerung aus dem Blick zu verlieren. Ein gutes Bildungssystem brauche nicht nur Eliteuniversitäten und Eliteschulen. „Zehn leistungsfähige Krankenhäuser garantieren noch keine flächendeckende gesundheitliche Versorgung auf höchstem Niveau, drei erfolgreiche Großkonzerne keine nachhaltige gesamtwirtschaftliche Entwicklung und ein paar international anerkannte Bühnen und Orchester noch keine Kultur.“

Der Kölner Erzbischof Joachim Meisner hatte bereits vor dem Festakt gemahnt, die Errungenschaften der Wiedervereinigung wachzuhalten. „Bleiben wir wachsam und wirksam“, sagte der Kardinal am Morgen beim ökumenischen Festgottesdienst vor rund 1000 Ehrengästen in der Bonner Kreuzkirche. „Helfen wir besonders der jüngeren Generation im Hinblick auf unsere Vergangenheit mit Schlagbäumen und Mauern, die uns nun geschenkte Freiheit zu schützen, zu bewahren, zu vertiefen.“

In der früheren Bundeshauptstadt wurde der Einheitstag in diesem Jahr gleich drei Tage lang gefeiert - gemeinsam mit dem 65. Gründungstag Nordrhein-Westfalens. Schätzungsweise rund 700 000 Menschen - ungefähr das Doppelte der Einwohnerzahl Bonns - drängten sich bei schönstem Altweibersommerwetter an dem langen Wochenende über die Festmeile, auf der sich die Bundesländer, Bundesbehörden, das Land Nordrhein-Westfalen und die Stadt präsentierten. Bundespräsident Christian Wulff lud zu einem gut besuchten bunten Kinderfest in die Villa Hammerschmidt, seinen Bonner Dienstsitz.

Zunächst aufschreckende Berichte über die vorübergehende Festnahme von vier mutmaßlichen Islamisten konnten die friedliche und frohe Stimmung in der Stadt nicht trüben. Die vier Männer sollen eine „schwere staatsgefährdende Straftat“ geplant haben. Drei wurden im Raum Bonn festgenommen, einer im hessischen Offenbach. Sie wurden wieder freigelassen, nachdem sich ein Terrorverdacht nicht erhärtete. Ob sie möglicherweise Aktionen bei den Bonner Feierlichkeiten planten, war unklar.

Kraft wandte sich in ihrer Rede auch gegen nationale Alleingänge in der aktuellen Finanzkrise. Deutschland müsse gemeinsam mit Europa handeln. „Die Antwort auf die aktuelle Krise ist daher nicht weniger, sondern mehr Europa!“ Deutschland dürfe bei der Stabilisierung des Euro nicht der Versuchung erliegen, sich „in die vermeintliche nationale Idylle zurückzuziehen“ und es lieber alleine zu versuchen, mahnte Kraft. „Es wäre ein historischer Fehler, dieser Versuchung nachzugeben! Denn es gibt diese Idylle nicht, die vorgegaukelte Wärme der guten alten Zeit, in der nationale Alleingänge möglich schienen.“

Eine Zukunft ohne EU ist auch nach den Worten Voßkuhles für Deutschland undenkbar. Die Bundesrepublik sei nicht nur in der EU, weil sich dies wirtschaftlich lohne. „Die Europäische Union gründet auf der historisch unhintergehbaren Einsicht, dass Frieden, Freiheit und Wohlstand auf diesem Kontinent dauerhaft nur durch einen engen Verbund gewährleistet werden können. Das gilt in guten wie in schlechten Zeiten, das gilt heute und auch morgen.“

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