Kinderarmut sinkt - Berlin Schlusslicht

Berlin (dpa) - Berlin ist die Hauptstadt der Kinderarmut - jedes dritte Kind ist hier auf Hartz IV angewiesen. Aber auch im Ruhrgebiet ist das Problem gravierend, dort ist die Kinderarmut gegen den Trend vielerorts sogar gewachsen.

Das geht aus einer neuen Studie hervor, die der Paritätische Wohlfahrtsverband am Mittwoch in Berlin vorlegte. Zentrales Ergebnis: An Hartz-IV-Kindern geht die gute Arbeitsmarktentwicklung weitgehend vorbei.

Der Untersuchung zufolge hat die Zahl der armen Kinder in Deutschland zwar seit 2006 um gut 15 Prozent auf 1,618 Millionen abgenommen. Die Armutsquote - der Anteil von Kindern in Hartz IV unter allen Kindern - ging aber bundesweit kaum zurück. Allerdings war die Entwicklung in Ost und West sehr unterschiedlich.

Die Armutsquote der Kinder bis 15 Jahren nahm laut Studie zwischen 2006 und 2011 im Westen Deutschlands von 13,2 auf 12,9 Prozent ab. Im Osten war der Rückgang sehr viel ausgeprägter: von 30,5 auf 24,1 Prozent. Die Quote der Kinder in Hartz-IV-Haushalten reduzierte sich dabei - mit minus 28,7 Prozent - am deutlichsten in Thüringen. Es folgen Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen mit einem Minus von jeweils rund 26 Prozent. Am bescheidensten fiel der Rückgang im Länder-Vergleich mit 9,4 Prozent in Berlin aus.

Für besorgniserregend hält der Verband die Entwicklung im Ruhrgebiet. Bei steigender Tendenz liege die Kinder-Armutsquote (25,6 Prozent) dort höher als in Ostdeutschland. Trauriger Spitzenreiter im Städtevergleich sei Gelsenkirchen mit einem Anteil von 34,4 Prozent armer Kinder. Die Entwicklung in Städten wie Mülheim oder Hamm mit Zuwächsen von bis zu 48 Prozent in fünf Jahren sei alarmierend.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband warnte vor einer Verfestigung der Kinderarmut in Deutschland auf hohem Niveau. Auch wenn die absoluten Zahlen zurückgegangen seien, gebe es „keinen Anlass zum Jubel. Wir haben nach wie vor eine skandalös hohe Kinderarmut. Die gute Arbeitsmarktentwicklung kommt bei Kindern in Hartz IV kaum an“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, Ulrich Schneider.

Nach seinen Worten lebt in Deutschland jedes siebte Kind unter 15 Jahren von Hartz-IV-Leistungen, in Ostdeutschland ist es jedes vierte Kind. In Berlin ist jedes dritte Kind auf Hartz IV angewiesen. Die Armutsquote in der Hauptstadt war damit mehr als doppelt so hoch wie der Bundesdurchschnitt von 14,9 Prozent.

Nach der Studie sind kinderreiche Familien und Alleinerziehende besonders armutsgefährdet. Schneider kritisierte erneut die Arbeitsmarkt- und Rotstiftpolitik der Bundesregierung: Es greife zu kurz, wenn man vor allem auf den Ausbau der Kinderbetreuung setze, denn die Hälfte der Frauen habe keinen Berufsabschluss. „Ohne passgenaue Hilfen bei der Qualifizierung und ohne öffentlich geförderte Beschäftigungsangebote wird man den meisten Alleinerziehenden im Hartz IV-Bezug nicht helfen können.“

Schneider forderte eine Reform des Kinderzuschlags, da dieser zu wenig Niedrigverdiener vor dem Abrutschen in Hartz IV bewahre, sowie eine kräftige Erhöhung der Hartz-IV-Kinderregelsätze. Da das Bildungs- und Teilhabepaket für bedürftige Kinder mit seinem Gutscheinsystem „gefloppt“ sei, verlangte er eine staatliche Bildungsoffensive nebst einem pauschalen Rechtsanspruch für einkommensschwache Kinder auf Teilhabe: vom Sportverein über die Musikschule bis zur Ferienfreizeit mit dem Jugendclub.

Die FDP wies die Forderungen Schneiders zurück. „Wer immer nur mehr Geld für den Sozialetat verlangt, macht es sich zu einfach, denn dies passt nicht in die heutige Zeit“, sagte der FDP-Sozialexperte Pascal Kober. Die Vizevorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping, forderte eine Kindergrundsicherung gegen Kinderarmut. Die Grünen sprachen sich dafür aus, die ungerechte Kinder- und Familienförderung vom Kopf auf die Füße zu stellen.

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