Kiloschwere Sandwesten sollen hibbelige Schüler im Unterricht ruhig halten

Gewichte am Körper sollen Kindern helfen, die im Unterricht nicht still sitzen können. NRW-Schulministerin Gebauer sieht den Einsatz kritisch.

Kiloschwere Sandwesten sollen hibbelige Schüler im Unterricht ruhig halten
Foto: Beluga Healthcare

Düsseldorf. NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer zeigt sich voller Skepsis. „Ich halte nichts davon“, sagte die FDP-Politikerin am Dienstag zu der Idee, verhaltensauffälligen Kindern bis zu fünf Kilogramm schwere Sandwesten anzuziehen, damit sie still sitzen und dem Unterricht besser folgen können.

Kiloschwere Sandwesten sollen hibbelige Schüler im Unterricht ruhig halten
Foto: dpa

In Hamburg kommen die Westen seit 2013 zum Einsatz, und zwar derzeit an 14 Grundschulen. Im Rahmen der therapeutischen Angebote werden sie bei Schülern mit Aufmerksamkeitsstörungen „als ein Instrument von vielen zur psychomotorischen Förderung eingesetzt“ und können „eine Alternative zur Medikamentenvergabe darstellen“, so die Hamburger Schulbehörde. Man werde den Einsatz „weder verbieten noch befördern“.

Die Sandwesten stammen unter anderem von der Firma Beluga Healthcare mit Sitz im niedersächsischen Scheeßel. „Bundesweit haben wir sie bisher an etwa 200 Schulen verkauft“, sagt Geschäftsführerin Silke Turley. Es gehe um Förderschulen oder um Regelschulen mit Inklusionsklassen. Kosten pro Stück: je nach Größe zwischen 80 und 170 Euro.

Laut Turley, deren Betrieb zehn Mitarbeiter zählt, werden Gewichte von Ergotherapeuten seit Jahrzehnten eingesetzt. „Unsere Sandwesten können vor allem Kindern mit Wahrnehmungsstörung helfen. Es geht darum, den unruhigen Körper zu entspannen“, erläutert Turley.

Sie räumt allerdings ein, dass es keine wissenschaftlichen Studien zu dem Thema gibt. Trotzdem scheinen die Westen von großem Nutzen zu sein. So berichtet Gerhild de Wall gegenüber der „FAZ“, dass die Schüler und Eltern begeistert seien. De Wall ist Sonderpädagogin an einer Grundschule in Hamburg. Bei einer Fortbildung in den USA hat sie zum ersten Mal von den Westen gehört und sie dann in Hamburg eingeführt.

Offenbar mit großem Erfolg. „Die Westen helfen besonders Schülern, die viel rumzappeln, motorisch unruhig sind, weil sie in sich die Not verspüren, sich zu spüren. Sie müssen einen enormen Energieaufwand leisten, wenn sie nur gerade und aufrecht sitzen wollen.“ Dieses „gute und stabile Sitzen“ sei aber eine Voraussetzung, um sich im Unterricht konzentrieren zu können.

Nach Angaben der Hamburger Senats gibt es aus der schulischen Praxis Berichte, die auf eine positive Wirkung des Einsatzes der Sandwesten hindeuten. Auch lägen aufgrund der bisherigen Erfahrungen keine möglichen negativen Folgen einer längerfristigen Anwendung vor. Der Einsatz sei eine Entscheidung der Sorgeberechtigten und bedürfe der Zustimmung des Kindes.

Wie es aus dem NRW-Schulministerium heißt, gibt es an den hiesigen Schulen keine Sandwesten. Für eine abschließende Bewertung, ob sich der Einsatz verbieten ließe, sei es aber zu früh.

So ist es durchaus denkbar, dass ein Arzt die Sandweste bei einem Kind mit Aufmerksamkeitsstörung als Teil der Therapie verordnet. In diesem Fall wären die Gewichte wie ein Medikament zu werten, deren Nutzung im Unterricht die Schule nicht untersagen kann.

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