Streit in Flüchtlingsunterkünften Islamwissenschaftlerin Kaddor plädiert für Streitschlichter

Düsseldorf. Bislang dreht sich die aktuelle Diskussion um die Flüchtlinge vor allem um Aufnahmekapazitäten und bürokratische Verfahren. Handfeste Streitereien in überbelegten Unterkünften machen klar, dass weit größere Aufgaben zu lösen sind.

Lamya Kaddor.

Lamya Kaddor.

Foto: Siewert, Doro

Lamya Kaddor, Islamwissenschaftlerin und Tochter syrischer Einwanderer, macht sich für Streitschlichter stark.

Man stelle sich vor: 2000 Menschen, darunter viele junge Männer, leben auf engstem Raum, haben fürchterliche Strapazen hinter sich und warten darauf, Integrationskurse besuchen oder die deutsche Sprache erlernen zu dürfen. „Dass da Spannungen entstehen können, ist doch klar“, meint Lamya Kaddor und macht klar, dass die zunehmende Gewalt in den überfüllten Flüchtlingsunterkünften nicht zwangsläufig religiöse Gründe haben muss: „Wenn Menschen zur Untätigkeit verdammt sind, dann steigen bei manchen Frust und Wut. Das ist doch überall auf der Welt so.“

Die Religionspädagogin schlägt vor, geschulte Streitschlichter in die Unterkünfte zu schicken oder diese gleich unter den Flüchtlingen auszubilden. „Wir brauchen Brückenbauer, zum Beispiel hier lebende Deutschsyrier, egal ob Christen oder Muslime, bieten sich an, in die Unterkünfte zu gehen.“ Wenn man das in großem Stil machen würde, könnte man gleich mehrere Ziele erreichen: Zum einen werde die Integration der Flüchtlinge gefördert, hier lebende Einwanderer erhielten das Signal, zu Deutschland zu gehören, und letztendlich ginge die gesamte Gesellschaft gestärkt daraus hervor.

Die von der Polizei zur Deeskalation angeregte Trennung der Menschen — ob nach Religion oder Geschlecht — lehnt die 37-Jährige dagegen ab, hält sie für „problematisch und überzogen“. Sie mache eigentlich nur Sinn, um alleinreisende Frauen und unbegleitete Kinder zu schützen. Das aber habe mit dem Islam nichts zu tun. Natürlich bestünden auch konfessionelle Spannungen in den Unterkünften, aber „die Menschen, Muslime und Christen, haben, vor allem in Syrien, Hunderte Jahre in Frieden miteinander gelebt, warum sollten sie das auf einmal nicht mehr können?“.

Lamya Kaddor wehrt sich gegen das negative Bild, das hier und da von Flüchtlingen gezeichnet werde, „das sind doch keine Neandertaler!“. Man müsse von ihnen erwarten, dass sie sich mit den hiesigen Werten auseinandersetzen, sie respektieren und im besten Falle sogar annehmen, aber man kann das nicht erzwingen. Die Menschen müssten zügig in Arbeit gebracht, ihnen Deutsch vermittelt werden. „Die meisten Flüchtlinge wollen das auch, aber es gibt zu wenig Angebote.“

Und noch etwas liegt Kaddor am Herzen: Die muslimischen Verbände dürften nicht zulassen, dass Extremisten die Flüchtlinge für sich gewinnen. „Wir vom Liberal-Islamischen Bund aber auch andere Verbände suchen ganz gezielt das Gespräch. Die Muslimische Gemeinde im Rheinland hat beim Opferfest hunderte Schuhkartons für Kinder gefüllt und diese in Flüchtlingsheime gebracht.“ Oder man kümmere sich um einzelne Flüchtlinge, helfe ihnen zum Beispiel bei der Wohnungssuche.

Menschen mit syrischen Wurzeln, die in Deutschland leben, sollten den Vorteil der Sprache nutzen, die ihnen den Zugang zu den Flüchtlingen erleichtere. Das geschehe bereits vielfach auf ehrenamtlicher Basis, könne aber auch professionalisiert werden. „Die Menschen müssen eine religiöse und nationale Heimat finden.“ Lamya Kaddor appelliert: „ Das größte Problem ist, wenn wir jetzt nichts tun.“

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