Interview Annegret Kramp-Karrenbauer: „Ich bin gegen Tempolimits“

Wuppertal · Die CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer spricht im WZ-Interview über Fahrverbote, den Kohleausstieg, arme Kommunen und die Frage nach der Kanzlerschaft.

 Am Rande des CDU-Neujahrsempfangs in Wuppertal sprach der stellvertretende Chefredakteur Lothar Leuschen mit Annegret Kramp-Karrenbauer.

Am Rande des CDU-Neujahrsempfangs in Wuppertal sprach der stellvertretende Chefredakteur Lothar Leuschen mit Annegret Kramp-Karrenbauer.

Foto: Fries, Stefan (fri)

Für Annegret Kramp-Karrenbauer (56) hat sich binnen kürzester Zeit alles verändert. Zunächst wurde die Ministerpräsidentin des Saarlades CDU-Generalsekretärin. Nach wenigen Monaten im Amt setzte sie sich gegen Friedrich Merz und Jens Spahn im Wettbewerb um das Amt der Parteivorsitzenden durch. Seither lässt sie durchscheinen, dass sie sich sehr bewusst auch im Hinblick auf eine mögliche Kanzlerkandidatur um den Parteivorsitz beworben hat.

Am Rande eines Besuches bei Parteifreunden in Wuppertal äußerte sich Kramp-Karrenbauer im Gespräch mit dieser Zeitung unter anderem über das Verhältnis zur CSU, über die Dieselkrise, über den Zustand von Straßen und über die Bedeutung, die Europa für Deutschland hat.

Frau Kramp-Karrenbauer, Sie haben zuletzt nach einem Gespräch mit CSU-Chef Markus Söder von vielen Gemeinsamkeiten der Schwesterparteien gesprochen. Was sind die Unterschiede?

Kramp-Karrenbauer: Es gibt immer wieder Unterschiede in Einzelfragen. Bei der allgemeinen Dienstpflicht etwa setzt die CSU auf Freiwilligkeit und wir eher auf eine Verpflichtung.

Und in der Migrationsfrage ist jetzt Frieden zwischen den Schwestern?

Kramp-Karrenbauer: Zu dieser wichtigen Frage haben wir das Werkstattgespräch am kommenden Wochenende vereinbart, und ich freue mich sehr, dass die CSU mit dem bayerischen Innenminister und Mitglied des Parteivorstands Joachim Herrmann hochrangig vertreten ist.

Was macht die Frage so wichtig?

Kramp-Karrenbauer: Die Ordnung und Steuerung der Migration in und nach Deutschland ist ein in der Gesellschaft sehr intensiv und auch kontrovers diskutiertes Thema. Die Handlungsfähigkeit des Staates zu gewährleisten, hat immer zu dem gehört, was CDU und CSU ausgezeichnet hat. Deshalb ist es auch in unserem eigenen Interesse, auf die konkreten Probleme zu schauen und durch praktische Vorschläge Vertrauen zurückzugewinnen.

Das Vertrauen in die großen Parteien schwindet. In der Dieselkrise ist bei vielen Menschen der Eindruck entstanden, dass die Union vielen Herren dient, aber nicht dem Volk.

Kramp-Karrenbauer: Die Autohersteller, die manipuliert haben, müssen dafür einstehen. Wo Fahrzeuge nachgerüstet werden können, um Fahrverbote zu vermeiden, darf das nicht am Einzelnen hängenbleiben.

Fahrverbote träfen den Einzelnen aber auch.

Kramp-Karrenbauer: Fahrverbote sind das schärfste Schwert. Sie greifen in die persönliche Lebensgestaltung ein. Es muss eine Gewissheit dafür geben, dass sie nur angewandt werden, wenn es gar nicht anders geht. Wenn Grenzwerte nur leicht überschritten werden, sollte man daher nicht sofort zum Fahrverbot greifen, sondern zunächst andere Möglichkeiten ausschöpfen – das hat etwas mit Verhältnismäßigkeit zu tun.

Tempolimits scheinen ein Thema zu sein, das im Volk möglicherweise mehr Zuspruch findet als in der Volkspartei CDU.

Kramp-Karrenbauer: Ich persönlich bin gegen Tempolimits. Die Debatte ist aufgekommen, weil es hieß, dass wir damit viel Co2 einsparen könnten. Dann ist deutlich geworden, dass die Wirkung vergleichsweise gering ist. Anschließend wurde die Verkehrssicherheit ins Feld geführt. Mir scheint, als sei jedes Argument recht, um ein weiteres Verbot auszusprechen. Anstatt über Verbote sollten wir über innovative Lösungen nachdenken, zum Beispiel vernetzte Ampelschaltungen, dynamische Tempolimits je nach Wetter und Verkehrsaufkommen, die Weiterentwicklung von Fahrassistenzsystemen usw.

In Umfragen äußern sich viele Bürger anders.

Kramp-Karrenbauer: Bei Umfragen bin ich vorsichtig. Wenn man beispielsweise nach dem Kohleausstieg fragt, sind 70 Prozent dafür. Man müsste gleichzeitig aber fragen, ob die Befürworter auch bereit wären, ein Windrad in der Nachbarschaft zu akzeptieren oder höhere Strompreise. Um nicht missverstanden zu werden: Ich bin für den Kohleausstieg, aber nicht nach den Konsequenzen zu fragen, das heißt ohne zu betrachten, was das für jeden einzelnen bedeutet, halte ich für eine problematische Methode.

Den Ausstieg aus der Kohle kennen Sie als Saarländerin schon. Er hat wie in anderen Regionen zu deutlichen Unterschieden in den Lebensverhältnissen geführt. Viele Kommunen an der Saar leiden finanziell Not wie beispielsweise Städte im Ruhrgebiet und im Bergischen Land.

Kramp-Karrenbauer: Wir haben in allen Bundesländern Boom-Regionen und in allen auch Regionen, denen es nicht so gut geht. Um den schwächeren Regionen zu helfen, haben wir die Kommission für die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse eingesetzt. Im Übrigen wird es in den Verhandlungen um den Kohleausstieg ja genau darum gehen, für die betroffenen Regionen Alternativen aufzubauen und den Ausstieg sozialverträglich zu gestalten.

Boom-Region im Saarland? Wo ist die?

Kramp-Karrenbauer: Die Landeshauptstadt selbst und im Dreiländereck mit Luxemburg und Frankreich. Aber die Lage ist sehr unterschiedlich. Schwächeren Kommunen zu helfen, ist nicht nur Aufgabe des Bundes, sondern auch der Landespolitik. Ich weiß, dass sich die Landesregierung hier in NRW – ebenso wie zum Beispiel im Saarland – sehr darum kümmert. Das ist eine große Gemeinschaftsaufgabe.

Weil es die Menschen direkt betrifft?

Kramp-Karrenbauer: Die meisten Leute machen die Funktionsfähigkeit des Staates am Zustand ihrer eigenen Umgebung fest. Wenn ich in meiner Stadt das Gefühl habe, dass die Straßen mehr Löcher als Meter haben, die Gebäude und Brücken marode sind, dann habe ich auch nicht das Gefühl, dass in dieser Gesellschaft alles gut zugeht. Deshalb kommt dieser Frage eine große Bedeutung zu. Ich hoffe, dass die Kommission zügig zu Ergebnissen kommt, die wir umsetzen können.

Wir stehen vor der Europawahl und müssen damit rechnen, dass nationalistische Kräfte weiter gestärkt werden. Was setzt die Volkspartei CDU diesen Tendenzen entgegen?

Kramp-Karrenbauer: Die Europawahl ist eine sehr wichtige Wahl. Gleichzeitig haben wir aber ebenfalls zehn Kommunal- sowie die Bürgschaftswahl in Bremen, die sind für mich nicht minder wichtig. In Europa wird heute vieles festgelegt, das großen Einfluss auf das Leben in den Kommunen hat. Für mich ist der 26. Mai aber nicht die Entscheidungsschlacht zwischen Pro- und Antieuropäern, sondern es geht um die Frage: Wie machen wir Europa richtig? Dabei werden die Themen Sicherheit, Frieden und Wohlstand einen Schwerpunkt bilden.

Welche Aufgabe ergibt sich für Ihre Partei daraus? Was ist das Bild der CDU?

Kramp-Karrenbauer: Wir sind eine Volkspartei, die in der Lage ist, den Ausgleich zwischen verschiedenen Interessen herbeizuführen, zum Beispiel zwischen Klimaschutz und gleichzeitig guter Wirtschaftspolitik. Sicherheit ist ein weiteres wichtiges Thema. Es gibt überall Menschen, die sich wünschen, dass es sauber ist in ihrer Stadt, dass sie abends sicher nach Hause kommen, dass beispielsweise die Schwebebahn pünktlich fährt. Auch das gehört zu den Aufgaben von CDU-Politik auf allen Ebenen. Wir lösen Probleme, ohne den Menschen dabei nach dem Mund zu reden.

Sondern?

Kramp-Karrenbauer: Sie erwarten, dass eine Partei eine Position einnimmt und für diese Position politisch streitet. Wir müssen auch deutlich machen, wohin Nationalismus führt. Vieles, von dem, was wir Positives in Deutschland haben, rührt daher, dass wir genau in diesem Europa leben, das heute da ist. Das müssen wir klar machen.

Das Schöne ist, dass das jetzt Ihre Aufgabe ist. Sie sind die CDU.

Kramp-Karrenbauer: Das ist eine gemeinsame Aufgabe.

Aber Sie sind die Vorsitzende.

Kramp-Karrenbauer: Ja, und ich habe mich auch in vollem Bewusstsein um diese Aufgabe beworben. Aber gleichzeitig gilt: Die großen Aufgaben, vor denen wir stehen, können wir nur als Partei gemeinsam schaffen.

Wenn Sie für die CDU Klarheit und Orientierung propagieren, muss dann nicht eine Bundesvorsitzende klar und deutlich sagen, dass sie Bundeskanzlerin werden will?

Kramp-Karrenbauer: Die Frage stellt sich dann, wenn es soweit ist.

Aber die Frage beantworten Sie doch. Sie sind die Vorsitzende.

Kramp-Karrenbauer: Die Vorsitzende führt diesen Prozess von vorn. Das ist ihr Recht, aber auch Ihre Pflicht. Natürlich wäre ich nicht da, wo ich heute bin, wenn ich keine persönlichen Ziele und keinen persönlichen Ehrgeiz hätte. Aber meine Verantwortung besteht zunächst darin, die CDU inhaltlich und personell zu neuer Stärke zu führen, damit wir auch künftig Wahlen gewinnen. Alle weiteren Fragen stellen sich erst danach.

Wir hätten aber gern eine konkrete Antwort.

Kramp-Karrenbauer: Ich weiß, dass Sie die gern hätten. Wenn es soweit ist, werden Sie die auch bekommen.

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