Gesetz soll Rehabilitation erreichen : Homosexuelle hoffen auf Gerechtigkeit
Aber ob der Gesetzentwurf von Heiko Maas wirklich alle Urteile umfasst, ist offen. Der Paragraf 175 wurde erst 1994 aufgehoben.
Düsseldorf. Frank Schneider lebt heute irgendwo in einem kleinen Dorf in Nordrhein-Westfalen in einer Einzimmerwohnung. Seine Erwerbsminderungsrente reicht nicht für das Nötigste. Sie wird mit Hartz IV aufgestockt. Den gesellschaftlichen Anschluss hat er vollkommen verloren — nicht erst seit seiner Entlassung aus dem Gefängnis 2004. Damals hatte er seine zehnjährige Haft verbüßt, Folge einer Verurteilung nach § 175 Strafgesetzbuch. Damit gehört er zu den letzten, die wegen des so genannten Schwulen-Paragrafen hinter Gitter mussten. Wenige Monate nach dem Urteil wurde der Paragraf abgeschafft.
In Wahrheit heißt Frank Schneider gar nicht so. Und als homosexuell oder schwul würde er sich auch nicht bezeichnen. Eine Sozialisation, die sein Coming out gefördert hätte, hat er nie durchlebt, eher ein dörfliches Klima, in dem auf Andersartigkeit „mit Denunziation reagiert wird“, sagt Alexander Wäldner (46). Der Historiker ist vor Jahren auf die Geschichte von Schneider gestoßen — über einen Freund, der Gefängnisseelsorger ist und den Fall gut kannte. Der Betroffene selbst lehnt jeden Öffentlichkeitskontakt ab.
Sein Vergehen: Er hatte mit Anfang 30 mehrfach einvernehmlichen Sex mit einem 17-Jährigen. Unter Heterosexuellen keine Straftat, unter Homosexuellen bis 1994 schon. Und weil Schneider schon einschlägig vorbestraft war (wegen Sex mit einem 16-Jährigen), gab es keine Gnade: zehn Jahre Haft; drei Gnadengesuche und mehrere Anträge auf vorzeitige Entlassung wurden abgelehnt.
Ob auch Schneider von dem Gesetzentwurf betroffen ist, den Bundesjustizminister Heiko Maas am Dienstag ankündigte, ist noch offen. Maas sagte zur Eröffnung des Deutschen Juristentages in Essen laut Redemanuskript auf der Internetseite seines Ministeriums: „Seit 1969 sind homosexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen zwar nicht mehr strafbar, aber die Urteile, die bis dahin ergangen sind, bestehen noch immer. Ich finde es unerträglich, dass die Betroffenen bis heute mit diesem Strafmakel leben müssen.“
Maas stellte für Oktober einen Gesetzentwurf in Aussicht, der die Verurteilung nach § 175 aufheben und die Betroffenen rehabilitiert soll. Die Geschichte des Paragrafen endete allerdings nicht 1969. Noch bis 1994 blieb er in einer Jugendschutzversion erhalten und sorgte für ein unterschiedliches Schutzalter bei hetero- und homosexuellen Kontakten. Selbst im Jahr seiner Abschaffung wurden bundesweit noch 55 Männer wie Frank Schneider verurteilt, 15 davon in Nordrhein-Westfalen. Auf sie verwies der Grünen-Abgeordnete Volker Beck. Zwischen 1969 und 1994 habe ein „antihomosexuelles Sonderstrafrecht“ gegolten. Auch die in dieser Zeit erfolgten Urteile seien Unrecht gewesen. Jetzt dürften „keine halben Sachen“ gemacht werden.
In Nordrhein-Westfalen hatte der Landtag bereits 2012 eine Rehabilitierung und Entschädigung der verurteilten Männer beschlossen und zwei Jahre später noch einmal eine Resolution verabschiedet. Allein in NRW gab es zwischen 1953 und 1994 gut 13 000 Verurteilungen. Bundesweit sind mehr als 50 000 Urteile ergangen.