Holocaust-Gedenkstunde im Bundestag Zwischen Würde und Verweigerung

Berlin · So ganz ohne Widerspruch kommt der Bundestag auch bei der Feierstunde zum 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz nicht aus.

 Die Fahnen am Bundestag sind zum Gedenken am 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslager Auschwitz auf halbmast gesetzt.

Die Fahnen am Bundestag sind zum Gedenken am 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslager Auschwitz auf halbmast gesetzt.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Es gibt im Bundestag zwei gegenüberliegende Pressetribünen. Diesmal war nur die linke von beiden voll. Der Grund: Von dort aus kann man die AfD-Fraktion beobachten. Und wie sie auf die drei Redner der Gedenkstunde zum 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz reagieren würde, interessierte viele. Denn es war klar, dass es nicht nur um vergangene Geschichte gehen würde. Sondern um neuen Antisemitismus, Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit in Deutschland.

Im Plenum  herrschte eine würdevolle Atmosphäre. Weiße Blumengestecke vor dem Rednerpult. Stücke von Szymon Laks, dem Leiter des Auschwitz Lager-Orchesters, wurden vorgetragen. „Musik aus einer anderen Welt“, wie Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) es nannte. Auf der Zuschauertribüne saßen Vertreter der jüdischen Gemeinde, Überlebende des Holocaust und die Rabbiner der Synagoge in Halle, die im letzten Jahr von einem Rechtsextremisten attackiert worden war. Außerdem Jugendliche, die an einer internationalen Begegnung in Auschwitz teilgenommen hatten. Die meisten Abgeordneten waren dunkel gekleidet. Vor dem Reichstag hingen die Flaggen Israels, Deutschlands und Europas auf Halbmast.

Wie alle Fraktionen war auch die AfD fast vollständig erschienen. Sie hatte sich offensichtlich vorgenommen, mit den anderen zu klatschen. Als Schäuble sagte, es gebe „immer neue Versuche, die Verbrechen zu leugnen oder kleinzureden“, bewegte sogar ihr Fraktionschef Alexander Gauland die Hände, wenn auch nur kurz und zaghaft. Dabei dürfte der Bundestagspräsident gerade ihn gemeint haben, weil er die Nazizeit einmal einen „Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte genannt hatte.

Auch bei der Ansprache von Frank-Walter Steinmeier hielt die Disziplin der Rechten  lange – bis der Bundespräsident nach einem klaren Appell zur deutschen Verantwortung für Auschwitz einen Bruch machte. „Vor wenigen Jahren hätte meine Rede an diesem Punkt enden können“, leitete Steinmeier seine zweite Hälfte ein.  Doch „Hass und  Hetze“ breiteten sich in Deutschland aus, die „bösen Geister der Vergangenheit“ zeigten sich heute in neuem Gewand. „Wir vergessen nicht, was geschehen ist“, schloss Steinmeier diese Passage. „Wir vergessen aber auch nicht, was geschehen kann.“ Jetzt klatschten etliche Abgeordnete der AfD nicht mehr. Und auch beim Rest der Veranstaltung kaum noch. Am auffälligsten der sächsische Rechtsnationalist Jens Maier und Albrecht Glaser, den die AfD einst zum  Bundestagsvizepräsidenten machen wollte.

Israels Präsident Rivlin teilte seine Rede in zwei Hälften

Bei der Rede von Israels Präsident Reuven Rivlin hatten dagegen die Beobachter von der anderen Pressetribüne die bessere Sicht – auf die Links-Fraktion. Denn bei der blieben fast alle Hände unten, als Rivlin auf die Bedrohung Israels durch den Iran, Hamas und Hisbollah zu sprechen kam. Vor zehn Jahren hatte es bei der Ansprache von Staatspräsident Shimon Peres sogar einmal einen Eklat gegeben, als einige linke Abgeordnete sich zu seinen Ehren nicht erheben wollten.

Auch Rivlin teilte seine Rede in zwei Hälften. In der ersten würdigte er das deutsche Engagement für die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit. Er habe als Jugendlicher noch gegen die Wiedergutmachungszahlungen an Israel demonstriert. Jetzt sehe er, dass Deutschland es aufrichtig gemeint habe. Im zweiten Teil kam Rivlin auf die aktuelle politische Situation in Nahost zu sprechen und vertrat offensiv den Standpunkt seines Landes. Den Friedensplan von US-Präsident Donald Trump lobte er als Chance und forderte Deutschland auf, mitzuhelfen, dass beide Seiten, Israel und die Palästinenser, mehr Vertrauen ineinander entwickelten.

Der israelische Präsident ließ bei diesen Passagen kaum Pausen, so dass niemand in Verlegenheit kam, sich dazu verhalten. Hätte er es getan, wäre es wohl relativ stumm geblieben im Rund, auf vielen Seiten. Denn Trumps Friedensplan ist in Berlin fraktionsübergreifend sehr umstritten. So verlief die Gedenkstunde zum 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz ohne sichtbaren Eklat. Als Rivlin geendet hatte, standen alle auf.

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