Hamburg und Berlin untersuchen Genitalien junger Flüchtlinge

Hamburg (dpa) - In Hamburg und Berlin begutachten Ärzte bei der Altersbestimmung von Flüchtlingen auch deren Genitalien oder Brustdrüsen. Wie eine dpa-Umfrage ergab, verzichten alle anderen Bundesländer auf diese aus Sicht der Kritiker „hochnotpeinliche Intimuntersuchung“ - oder aber die Behörden wissen nichts davon.

Hamburg und Berlin untersuchen Genitalien junger Flüchtlinge
Foto: dpa

Manche Länder wie Thüringen oder Rheinland-Pfalz halten ärztliche Untersuchungen zur Altersbestimmung generell für zu ungenau. „Selbst das beste medizinische Verfahren hat eine Fehlerquote von zwei bis drei Jahren“, sagte der Sprecher des Jugendministeriums in Erfurt der Deutschen Presse-Agentur.

Hamburg will mit der Untersuchung klären, ob Flüchtlinge wie behauptet minderjährig sind. Der Test sei freiwillig und führe im Falle einer Verweigerung nicht dazu, dass sie als volljährig eingestuft werden, betont die Sozialbehörde. Im Zentrum der Überprüfung stehe das Röntgen des Kiefers, bei Bedarf auch der Handwurzel oder des Schlüsselbein-Brustbein-Gelenks.

Für die Behörden ist es von großer Bedeutung, ob die unbegleiteten Flüchtlinge wie behauptet tatsächlich minderjährig sind. Denn davon hängt ab, wie sie untergebracht und versorgt werden. Während volljährige Flüchtlinge nach ihrer Ankunft in Erstaufnahmeheime kommen, kümmern sich um Minderjährige Jugendämter, Pflegefamilien und Heime - was deutlich aufwendiger und auch teurer ist.

Hinzu kommt, dass unbegleitete jugendliche Flüchtlinge nicht nach dem Königsteiner Schlüssel über alle Länder verteilt werden, sondern dort bleiben, wo sie gestrandet sind. Das soll zwar geändert werden. Doch akut macht das vor allem Großstädten zu schaffen, da sie oft erster Anlaufpunkt sind. Allein in Hamburg meldeten sich von 2012 bis Ende Mai 2015 fast 5500 minderjährige unbegleitete Flüchtlinge.

Für Hamburgs Ärztekammerpräsident Frank Ulrich Montgomery ist das dennoch kein Grund für Genital- oder Röntgenuntersuchungen. Er warnte seine Ärzte-Kollegen gar davor, zum „Handlanger des Staates“ zu werden. Der Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge ging noch weiter: „Nacktuntersuchungen und unausgereifte medizinische Methoden verletzen die Würde des Kindes.“

Berlin hält es ähnlich wie Hamburg, nutzt „Ganzkörperuntersuchungen“ zur Klärung der Röntgenverträglichkeit auch zur „Feststellung der Reifezeichen“. „Eine spezielle Genitaluntersuchung erfolgt (...) nicht“, erklärte die Universitätsklinik Charité. Zwang gebe es auch nicht: „Verweigern Probanden die körperliche Untersuchung oder Röntgenuntersuchung, kann eine forensische Altersdiagnostik nicht erfolgen.“

Alle anderen Länder setzen auf Inaugenscheinnahmen und Gespräche mit den Jugendlichen, in Hessen etwa durch erfahrene Sozialpädagogen des Sozialdienstes. Meist werden wie in Rheinland-Pfalz auch Dolmetscher hinzugezogen. Ähnlich arbeiten Schleswig-Holstein, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und das Saarland.

In Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Bayern verwiesen Sprecher auf Empfehlungen der jeweils zuständigen Ministerien, die sämtlich keine Genitalbegutachtungen vorsähen. In Bayern etwa werde zur Inaugenscheinnahme postpubertärer Körpermerkmale geraten - „soweit sie ohne Entkleiden oder Untersuchung erkennbar sind“. In Sachsen und Baden-Württemberg sind die Jugendämter in der Wahl der Mittel frei.

Der Leiter des Sozialamts der Stadt Karlsruhe, wo sich die größte Erstaufnahmeeinrichtung Baden-Württembergs befindet, sagte, medizinische Gutachten kosteten 2500 Euro - und seien weniger präzise als die Altersschätzungen seiner Kollegen. Auch Bremen verzichtet bewusst auf medizinische Tests.

„Im Regelfall wird den jungen Leuten geglaubt, wenn sie ihr Alter angeben“, sagte ein Sprecher des dortigen Sozialressorts. Erst bei massiven Zweifeln werde das Alter über Gespräche geschätzt. „Wir machen das, weil wir wissen, dass alle medizinische Methoden auch fachlich hoch umstritten sind.“ Das rheinland-pfälzische Integrationsministerium sieht zudem die Gefahr, dass die jugendlichen Flüchtlinge durch bestimmte ärztliche Untersuchungen zusätzlich traumatisiert werden könnten.

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