Meinung Geändertes Bewusstsein für die Rechte von Kindern

Es ist gerade gut eine Woche her, dass die Republik das 70-jährige Bestehen des Grundgesetzes gefeiert hat. Und jetzt soll unsere Verfassung auf einmal defizitär sein?

 Ekkehard Rüger

Ekkehard Rüger

Foto: ja/Sergej Lepke

Es ist gerade gut eine Woche her, dass die Republik das 70-jährige Bestehen des Grundgesetzes gefeiert hat. Allenthalben wurde es gelobt. „Ein Regelwerk für Freiheit und Demokratie, ein Bollwerk für die Menschenwürde“ hat es Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei der Geburtstagskaffeetafel in Schloss Bellevue genannt. Und jetzt soll unsere Verfassung auf einmal defizitär sein?

Anders kann man die Initiative für Kinderrechte im Grundgesetz nicht verstehen. Dass die Grünen nun mit Gespür für die Inszenierung zum Weltkindertag einen Gesetzentwurf vorlegen, macht sie in der Sache nicht zum Vorreiter. Die Diskussion ist alt. Viele haben sich schon daran versucht.

Unter den Verfassungen der Welt ist das Grundgesetz eine der am häufigsten geänderten. Das war nicht immer zu seinem Vorteil. Auch jetzt gibt es Einwände gegen einen Eingriff: Die Grundrechte gelten für alle Menschen, also auch für Kinder. Die UN-Kinderrechtskonvention ist in Deutschland seit 1992 in Kraft. Auch die Charta der EU-Grundrechte benennt verbindliche Kinderrechte. Und das Bundesverfassungsgericht hat sich mehrfach auf die Seite der Kinder gestellt. Warum dann noch das Grundgesetz?

Weil nicht nur Kinder das Fundament einer gesellschaftlichen Zukunft sind, sondern eine Verfassung auch das Fundament einer Kinderpolitik, die schützt und fördert. Das Grundgesetz stellt sich gegen die Benachteiligung von Behinderten, schreibt die Gleichberechtigung von Männern und Frauen fest, bekräftigt den Anspruch jeder Mutter auf Schutz und Fürsorge der Gemeinschaft. Aber bei Kindern heißt es nur lapidar, ihre Pflege und Erziehung sei das natürliche Recht der Eltern und zugleich ihre Pflicht. Das ist zu wenig. Die NRW-Landesverfassung ist da seit 2002 weiter: „Jedes Kind hat ein Recht auf Achtung seiner Würde als eigenständige Persönlichkeit und auf besonderen Schutz von Staat und Gesellschaft.“

Auch ein solcher Satz ändert nicht alles. Die Kinder von Lügde haben diesen Schutz schmerzlich vermisst. Dort haben Staat und Gesellschaft versagt. Eine Grundgesetzänderung hätte auch nicht die Stärkung des Staates gegenüber den Elternrechten zum Ziel. Sondern eine symbolische und daraus im besten Fall erwachsende tatsächliche Stärkung der Kinderinteressen und des Kinderwohls gegenüber Dritten.

„Eine Verfassung soll so etwas wie ein Ruhepol der Gesellschaft sein, aber sie darf nicht erstarren. Sie muss offen bleiben für gesellschaftlichen und politischen Wandel.“ Auch das hat Bundespräsident Steinmeier anlässlich des Grundgesetz-Geburtstages gesagt. Das geänderte Bewusstsein für die Rechte von Kindern ist ein solcher Wandel. Er sollte sich im Grundgesetz niederschlagen.

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