Interview SPD-Außenexperte Rolf Mützenich: „Das nukleare Denken kehrt zurück“

Exklusiv · Die USA wollen den sogenannten INF-Vertrag über das Verbot nuklearer Mittelstreckenraken mit Russland kündigen. SPD-Außenexperte Mützenich ist besorgt über das Vertrags-Aus.

 US Präsident Donald Trump (l) und der russische Präsident Wladimir Putin sitzen im Präsidentenpalast.

US Präsident Donald Trump (l) und der russische Präsident Wladimir Putin sitzen im Präsidentenpalast.

Foto: dpa/Pablo Martinez Monsivais

Die USA wollen den sogenannten INF-Vertrag über das Verbot nuklearer Mittelstreckenraken mit Russland kündigen. Nach Einschätzung des für Außenpolitik zuständigen SPD-Fraktionsvizes Rolf Mützenich wird damit auch das Vertrauen in andere Abkommen zur Rüstungsbegrenzung untergraben. Unser Berliner Korrespondent Stefan Vetter fragte nach:

Herr Mützenich, kommt jetzt der Rückfall in den Kalten Krieg?

Rolf Mützenich: Ein atomares Wettrüsten droht uns nicht sofort. Aber mit der Aufkündigung des INF-Abkommens wird ein wichtiger Baustein für die nukleare Ordnung in der Welt herausgerissen. Diese Ordnung basiert auf Verträgen, um diese gefährlichen Waffen unter Kontrolle zu halten. Das Aus für den INF-Vertrag ist leider ein weiteres Element in einer zusammenbrechenden Weltordnung. Das nukleare Denken aus dem Kalten Krieg kommt wieder zurück. Eine beunruhigende Entwicklung.

Woran machen Sie das noch fest?

Mützenich: Die USA akzeptieren bekanntlich auch das Atomabkommen mit dem Iran nicht mehr. Und demnächst kommt womöglich auch kein neuer Vertrag mit Russland über strategische Atomrüstung zustande. Dadurch geht immer mehr Vertrauen verloren. Man muss ja bedenken, dass sich eine Vielzahl von Staaten zum atomaren Verzicht bereit erklärt hat. Dafür steht der Atomwaffensperrvertrag. Er muss alle fünf Jahre erneuert werden. Das nächste Mal im Jahr 2020. Wenn diese Staaten nun sehen, dass nicht einmal große Atommächte an Rüstungskontrolle mehr interessiert sind, kann die Bindewirkung auch dieses Schlüsselabkommens ins Wanken geraten.

Die USA werfen Russland vor, den Vertrag mittels neu entwickelter Marschflugkörper gebrochen zu haben. Ist das Abkommen da ohnehin nicht schon längst Makulatur?

Mützenich: Es gibt Anhaltspunkte, dass Russland ein solches System entwickelt hat und damit auch in Richtung Europa zielt. Auf der anderen Seite hat die US-Regierung unter Donald Trump aber immer gesagt, dass der INF-Vertrag Amerika zu stark bindet. Damit spielt dieser Vertrag in den strategischen Planungen der USA offenbar auch keine Rolle mehr.

Umgekehrt fühlt sich Moskau von in Osteuropa stationierten US-Waffensystemen bedroht. Wie viel Verantwortung trägt der Westen für die aktuelle Situation?

Mützenich: Eine sehr große Verantwortung. US-Abwehrraketen in Rumänien und Polen sind natürlich eine strategische Herausforderung für Russland. Aber diese Besorgnisse sind von der Nato und einigen ihrer Mitgliedsländer leider nicht ernst genommen worden.

Auch andere Länder wie etwa China haben ihre atomaren Mittelstreckensysteme stark erweitert. Das entwertet ebenfalls den INF-Vertrag.

Mützenich: Das stimmt. Aber ein solcher Vertrag könnte auch Vorbild für diese Länder sein, weil sie etwa in Asien selbst mit einem Rüstungswettlauf konfrontiert sind, der durch Verträge entschärft werden könnte.

Wird am Ende auch Deutschland zum Stationierungsgebiet für neue Mittelstreckenraketen?

Mützenich: Es gibt Stimmen in der Union, die sich eine solche Möglichkeit offen halten. Ich halte das für falsch. Es gibt keine Raketenlücke mehr. Europa muss im Gegenteil langfristig atomwaffenfrei werden.

Was kann deutsche Diplomatie jetzt tun?

Mützenich: Wir müssen alles tun, damit die EU und die Nato zu einer gemeinsamen Sprache gegen neue Rüstungswettläufe kommen. Auch sitzt Deutschland für die nächsten zwei Jahre im UN-Sicherheitsrat. Dort können wir mit dafür sorgen, dass Abrüstung und Rüstungskontrolle wieder zu einem wichtigen Feld der Weltpolitik werden.

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