Koalitions-Krach Flüchtlings-Streit: Warum Zurückweisen an der Grenze nicht so einfach geht

Viele denken, man müsse einfach die Grenzen dicht machen und alle Asylbewerber abweisen. Dann sei das Problem gelöst. Doch so einfach ist es nicht. Es gibt praktische und rechtliche Einwände.

 Mitarbeiter des europäischen Grenzschutzes Frontex bei einem Einsatz an der Grenze zwischen Griechenland und der Türkei 8Archivbild).

Mitarbeiter des europäischen Grenzschutzes Frontex bei einem Einsatz an der Grenze zwischen Griechenland und der Türkei 8Archivbild).

Foto: dpa

Berlin. Praktisch würden die von Horst Seehofer geplanten Zurückweisungen rund 64.000 Flüchtlinge pro Jahr betreffen, die schon woanders registriert sind. 15.000 von ihnen haben sogar schon woanders Asylanträge gestellt. Meist in Italien. Fast alle kommen über österreichisches Gebiet an die deutsche Grenze. Nun bekäme Wien das Problem und würde seinerseits die Flüchtlinge weiter zurückleiten - bis sie am Ende wieder in Griechenland und Italien stranden.

Diese beiden Länder aber fühlen sich überfordert. 2015 protestierte Italien zum Beispiel scharf, als Frankreich viele Flüchtlinge an der Grenze zurückschickte und forderte eine gesamteuropäische Lösung. Die sollte es auch geben, doch hielt sich kaum ein Staat (außer Deutschland) an die mühsam gefundene Verabredung, 160.000 Flüchtlinge aus den Mttelmeerländern in Europa zu verteilen. Vor allem die Osteuropäer mauerten.

De facto besteht das Problem also darin, dass Europa in der Flüchtlingsfrage keine gemeinsame Linie hat, sondern jeder für sich handelt. Ungarn mit dem Zaun, Frankreich mit seinen Zurückweisungen und, wenn die CSU sich durchsetzen würde, dann auch Deutschland. Italien registriert die Flüchtlinge ebenso wie Griechenland bisher trotzdem noch und übernimmt die Erstversorgung. Beide Regierungen könnten sie freilich auch wieder wie früher einfach durchwinken nach Norden, wenn es ihnen zu bunt wird. Dann wäre Deutschland das Land der ersten Antragstellung, und Seehofers Plan liefe ins Leere.

Es gibt auch rechtliche Hürden, auf die der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages mehrfach hingewiesen hat. Das deutsche Asylrecht sagt zwar, dass niemand hier Asyl beantragen kann, der aus einem EU-Land oder einem sicheren Drittstaat einreist. Das würde Zurückweisungen rechtfertigen. Doch 2013 wurde die Dublin-Regelung verabredet. Und EU-Recht geht vor nationales Recht. Demnach muss jeder Staat erst einmal prüfen, ob ein Asylbewerber tatsächlich schon woanders registriert ist. Aber nicht nur das. Auch, ob er schon Angehörige in Deutschland hat, ob er minderjährig ist, und ob das Ersteinreiseland ihn überhaupt wieder zurücknehmen würde, muss festgestellt werden.

Dieses „Zuständigkeits-Bestimmungsverfahren“ kann nicht an der Grenze erfolgen. Natürlich könnte Deutschland sich einfach daran nicht halten, doch dann würde es selbst europäisches Recht brechen. Die Alternative wäre eine Änderung der Dublin-Verordnung - was alle EU-Staaten mitmachen müssten. Oder eine Vereinbarung mit Italien und Österreich zur Rücknahme bestimmter Gruppen. Das sind die beiden Wege, die Angela Merkel Horst Seehofer jetzt als Kompromiss angeboten hat.

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