Datenreport: „Wer arm ist, stirbt früher“

Düsteres Bild der sozialen Lage in Deutschland.

Berlin. In Deutschland gab es noch nie so viele Jobs wie heute. Trotz dieses Beschäftigungsbooms gelten aber auch immer mehr Menschen als armutsgefährdet. Nach dem am Dienstag veröffentlichten Datenreport über die soziale Lage in Deutschland spiegelt sich diese Entwicklung auch in der Lebenserwartung wider: „Arme sterben früher“, erklärte Roland Habich vom Wissenschaftszentrum Berlin, das die aktuelle Analyse in Zusammenarbeit mit dem Statistischen Bundesamt und der Bundeszentrale für politische Bildung erstellt hat. Nachfolgend die wichtigsten Erkenntnisse:

Als Faustformel in der nationalen und europäischen Sozialforschung gilt: Ein Mensch ist dann armutsgefährdet, wenn sein Nettoeinkommen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Bevölkerung beträgt. In Deutschland lag dieser Schwellenwert im Jahr 2011 bei 980 Euro. Dem Datenreport zufolge ist der Anteil der armutsgefährdeten Personen zwischen 2007 und 2011 von 15,2 auf 16,1 Prozent gestiegen. Unter den 18- bis 24-Jährigen ist inzwischen sogar mehr als jeder Fünfte (20,7 Prozent) mit dem Problem konfrontiert.

Nach Erkenntnissen der Experten gibt es einen Zusammenhang zwischen Einkommen und Lebenserwartung. So haben Frauen und Männer, deren Bezüge unterhalb der Armutsschwelle liegen, im Vergleich zu hohen Einkommensgruppen ein 2,4-, beziehungsweise 2,7-fach erhöhtes Sterberisiko. Die mittlere Lebenserwartung von Männern mit sehr niedrigem Einkommen liegt demnach fast elf Jahre unter der von männlichen Spitzenverdienern. Konkret bedeutet das: Während die einen durchschnittlich nur 70,1 Jahre leben, kommen die anderen auf 80,9 Lebensjahre. „Überspitzt könnte man sagen, Arme sterben früher“, meinte Studien-Mitautor Habich.

Personen, die von Armut betroffen sind, leiden in fast allen Altergruppen deutlich stärker an Übergewicht und den Folgen als Besserverdiener. Auch ergab eine Befragung, dass Ärmere ihren Gesundheitszustand selbst wesentlich schlechter beurteilen als Personen in hohen Gehaltsgruppen.

Im vergangenen Jahr hatten 41,5 Millionen Menschen in Deutschland einen Job. Soviel wie nie zuvor. Damit gingen 2012 rund 2,8 Millionen Menschen mehr einer bezahlten Beschäftigung nach als 1991. Allerdings ist die Anzahl der insgesamt geleisteten Arbeitsstunden heute niedriger als damals. Ein wesentlicher Grund für diese Entwicklung ist der wachsende Anteil von Teilzeitbeschäftigten, aber auch „atypische“ Tätigkeiten wie Leiharbeit oder Mini-Jobs. In diese Kategorie fallen immerhin 22 Prozent der Erwerbstätigen. Allerdings hat sich diese Zahl seit sieben Jahren praktisch kaum verändert.

Laut Datenreport wird die Armutsgefährdung insbesondere von der Erwerbsform beeinflusst. Wer in Vollzeit arbeitet, ist kaum betroffen. 2011 lag der Anteil der Armutsgefährdeten hier nur bei 5,7 Prozent. Unter den Teilzeitbeschäftigten waren es allerdings schon doppelt so viele (11,3 Prozent). Auch die Art des Arbeitsverhältnisses beeinflusst das Armutsrisiko. Während 2011 nur 5,8 Prozent mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag armutsgefährdet waren, lag der Anteil unter den Erwerbstätigen mit befristeten Verträgen bei 15,7 Prozent. Damit erklärt sich auch die überdurchschnittliche Armutsgefährdung junger Menschen. Denn viele von ihnen bekommen zunächst nur einen befristeten Vertrag. Obendrein sind die Einstiegsgehälter oft sehr niedrig.

Ja, dafür gibt es zumindest einige Belege. So waren 2011 fast 81 Prozent der armutsgefährdeten Personen schon in den vier Jahren zuvor davon betroffen. Unter ihnen galten 40 Prozent als dauerhaft arm. Zum Vergleich: Im Jahr 2000 lag dieser Anteil noch bei 27 Prozent. Die dauerhafte Armut habe sich inzwischen verfestigt, resümierte Studien-Mitautor Habich.

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