Bundestag: Kein Rederecht für Abweichler?

Wenn alle Abgeordneten zu Wort kommen, bricht das System zusammen, sagen Union, SPD und FDP. Sie wollen die Parlamentarier enger an die Leine nehmen.

Berlin. Ganze zehn Minuten kamen die „Euro-Rebellen“ von CDU und FDP, Klaus-Peter Willsch und Frank Schäffler, vor der Bundestags-Abstimmung über neue Milliarden-Rettungshilfen zu Wort.

Die beiden „Koalitionsabweichler“ konnten sich bei Norbert Lammert (CDU) bedanken, der sie im Herbst 2011 nach hitziger Debatte extra und länger ans Rednerpult ließ.

Diese zehn Minuten brachten dem Bundestagspräsidenten seinerzeit großen Ärger ein. Die Fraktionschefs protestierten, der Ältestenrat erteilte Lammert eine Rüge.

Nun wird Abweichlern möglicherweise ein Maulkorb verpasst und der Spielraum des Parlamentspräsidenten eingeschränkt. Das sieht zumindest ein Plan von Union, SPD und FDP vor. Noch im April könnte demnach mal eben die Geschäftsordnung geändert werden — wohl ohne lange Debatte.

Die Redezeit im Bundestag ist für Abgeordnete ein äußerst knappes Gut. Im Grundgesetz ist zwar festgehalten, dass Abgeordnete „Vertreter des ganzen Volkes“ seien und „an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“ seien. Im Parlamentsalltag gibt es aber etliche Einschränkungen, wie auch die peniblen Regeln für das Rederecht der Abgeordneten.

Auf die Minute genau wird die Redezeit auf die Fraktionen nach einem speziellen Schlüssel verteilt: Bei einer 60-minütigen Debatte haben die Unionsparteien 23 Minuten Redezeit, die SPD 14, die Liberalen neun Minuten sowie Grüne und Linke jeweils sieben Minuten.

Welcher Abgeordnete zu einem Thema reden darf, entscheiden in der Regel die Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen. Die Rednerlisten werden an Lammert und Stellvertreter verteilt und „abgearbeitet“.

Daran wollte sich Lammert nicht halten. In der Bundestagsdebatte über die Euro-Hilfen am 29. September 2011 erklärte er, dass Willsch und Schäffler das Wort erhalten würden, sie aber nicht für ihre Fraktionen redeten.

Es ging darum, dass sich die öffentliche Kontroverse über immer neue Euro-Hilfen auch in der Parlamentsdebatte widerspiegeln sollte. Die Fraktionsführungen waren sauer. Der Vorwurf: Würden alle reden, die eine von der Fraktion abweichende Meinung haben, breche das System zusammen. Das Parlament mit seinen gut 600 Abgeordneten wäre nicht mehr arbeitsfähig. Nun sollen Abweichler enger an die Leine genommen werden.

In dem Entwurf des zuständigen Bundestagsausschusses zur Änderung der Geschäftsordnung erwägen Union, SPD und FDP laut „Süddeutscher Zeitung“, dass nur die Parlamentarier das Wort erhalten, die von den Fraktionen bestimmt wurden. Andere Abgeordnete dürfte der Parlamentspräsident nur ausnahmsweise und maximal drei Minuten lang reden lassen — aber nach Rücksprache mit den Fraktionen.

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