Politik : Bundeskanzlerin beim Bürgerdialog: Ganz ohne "Merkel muss weg"
Die Kanzlerin startet in Jena mit einer Bürgerdiskussion in die zweite Jahreshälfte.
Jena. Brave Bürger stellen kurze Fragen - ausgeruhte Kanzlerin antwortet lange. So ungefähr lässt sich der „Bürgerdialog“ zusammenfassen, den Angela Merkel am Dienstag in Jena durchführt. "Sprechen wir über Europa“, lautet das Thema. Es ist Merkels erste öffentliche Veranstaltung nach der Sommerpause. Und keine große Herausforderung.
Das hat zum einen mit den 55 Teilnehmern zu tun. Die Leute sind von örtlichen Regionalzeitungen ausgewählt worden, alle sind jüngeren oder mittleren Alters und entstammen eher einer gehobenen Bildungsschicht.
In Jena ist man wegen der Universität und der Startups ohnehin etwas weltoffener als in anderen Gegenden des Ostens. „Merkel-muss-weg“-Demonstranten jedenfalls fehlen in- wie außerhalb des Gebäudes. Sie kämen auch nicht weit. Praktisch vor jeder Tür und an jeder Ecke des weitläufigen Areals, einem ehemaligen Umspannwerk, stehen Sicherheitsbeamte. Die Zahl der professionellen Teilnehmer der Veranstaltung übertrifft die der Bürger bei weitem.
Zudem begünstigt das Format den etwas einseitigen Verlauf. Merkel steht, hat immer ein Mikrofon in der Hand. Die Bürger sitzen und müssen warten, bis sie dran sind. Die Leute stellen meist nur kurze Fragen. Keiner gibt eine Stellungnahme ab oder reitet gar eine Attacke. Wieso verkauft sich Europa so schlecht? Wie wird Deutschlands Wirtschaft den Brexit verkraften? Was kann man gegen den Mangel an Pflegekräften tun? Wie werden die kleinen Agrarbetriebe gefördert? Es sind Steilvorlagen für die Kanzlerin, Stichworte, nach denen sie jedes Mal ihre eigene Politik ausführlich erklären kann.
Die Rechten, sonst in Thüringen keine Mangelware, sind in der Runde nicht vertreten. Wenn kritische Fragen kommen, dann sind sie eher links angehaucht. Dass Deutschland und Europa zu wenig für die Umwelt tun, bemängelt zum Beispiel eine junge Frau, die hinzufügt: „Was soll ich meinen Kindern mitgeben, wenn hier alles verbrannt ist“. Merkel referiert sofort die Leistungen der EU für den Naturschutz oder gegen Plastik. „Da ist Europa schwer hinterher“. Das umstrittenste Thema, die Flüchtlinge, kommt zwar vor, aber nicht im Sinne der Gegner der Merkelschen Politik. Wie kann die Integration der Zuwanderer besser gelingen, will zum Beispiel eine Frau wissen. Und ein Mann kritisiert, dass 2014 die Mittel für die Lager des UN-Flüchtlingshilfswerks gekürzt wurden, auch von Deutschland, was die Flüchtlingswelle erst mit ausgelöst habe. Merkel gibt unumwunden zu, „dass auch wir damals Riesenfehler gemacht haben“. Zu ihrer Entscheidung vom Herbst 2015, die Ungarn-Flüchtlinge nicht abzuweisen, steht sie aber.