„Und dann kam Thüringen“ Bürgerschaftswahl: Hamburgs Freud, Hamburgs Leid

Hamburg · Die „Kemmerich-Koalition“ aus AfD, CDU und FDP verliert in der Hansestadt massiv. Die SPD rettet sich, die Grünen gewinnen.

 SPD Spitzenkandidat und Erster Bürgermeister Peter Tschentscher jubelt auf der Wahlparty.

SPD Spitzenkandidat und Erster Bürgermeister Peter Tschentscher jubelt auf der Wahlparty.

Foto: dpa/Axel Heimken

Die ganze Zeit schon, schilderte CDU-Spitzenkandidat Marcus Weinberg, habe es in Hamburg das übliche „Schietwetter“ gegeben, also Nieselregen und Kälte. „Aber heute hat es politisch gewittert“. Was Weinberg nicht sagte: Bei ihm war der Blitz eingeschlagen. Rund elf Prozent, eine Katastrophe, bundesweiter Negativrekord. Auch Daniel Günther, CDU-Ministerpräsident im benachbarten Schleswig-Holstein, bemühte die Meteorologie: „Wir sind Gegenwind gewohnt hier im Norden. Aber das war ein Orkan“.

Er kam aus Thüringen, da waren sich alle Analysten in- und außerhalb der Union sofort einig. Vom „Irrlichtern der Union in Thüringen“ sprach Günther, und sein saarländischer Ministerpräsidenten-Kollege Tobias Hans befand, dass es ein „Bild der Führungslosigkeit in Thüringen und im Bund“ gegeben habe. Selbst Generalsekretär Paul Ziemiak redete in Berlin nicht drum herum: Alles habe sich um Thüringen gedreht. „Das war alles andere als Rückenwind“.

Genossen wollten den ersten Platz verteidigen

Am Montag schon wird das elende Thema für die CDU weitergehen; dann beraten die Führungsgremien in Berlin nicht nur über das Hamburger Desaster, sondern auch über die Frage, was man noch tun kann, um den Erfurter Landesverband auf Linie zu bringen. Und die heißt aus Sicht des Konrad-Adenauer-Hauses: Neuwahlen so schnell wie möglich. Doch stattdessen will die Thüringer CDU nun doch den Linken Bodo Ramelow zum Ministerpräsidenten wählen, mindestens für ein Jahr. Was nach der Kooperation mit der AfD bei der Wahl des Liberalen Thomas Kemmerich Anfang Februar gegen den nächsten Unvereinbarkeitsbeschluss der Union verstoßen würde, den in Richtung Linke.

„Und dann kam Thüringen.“ So endete auch Hamburgs FDP-Spitzenkandidatin Anna von Treuenfels ihre detailreiche Analyse des Wahlkampfes, der den Liberalen  am Ende eine Zitterpartie bescherte. Sie lag in den ersten Hochrechnungen bei fünf Prozent, vielleicht drüber, vielleicht drunter. Bis ein exaktes  Ergebnis feststeht, kann angesichts des komplizierten Hamburger Wahlrechtes lange dauern. Ohnehin habe man es angesichts des zugespitzten Zweikampfes zwischen SPD und Grüne um Platz Eins und damit den Bürgermeisterposten schwer gehabt,  schilderte Treuenfels. Kemmerichs Wahl hätte dann den Ausschlag gegeben. So analysierte in Berlin auch Parteichef Christian Lindner die Lage, der vom „Fiasko von Thüringen“ sprach. Er trat als letzter von allen Bundespolitikern vor die Kameras und scharte bei seinem Statement etliche Führungsmitglieder hinter sich auf die Bühne. Wohl als Zeichen der Geschlossenheit. Tatsächlich äußerte an diesem Sonntagabend kein  Spitzenliberaler offene Kritik an Lindners Krisenmanagement, auch Treuenfels nicht.

„Ich krieg das Grinsen gar nicht mehr aus dem Gesicht“, sagte Saskia Esken im Willy-Brandt-Haus der SPD, und es stimmte sogar. Doch wechselte die Mimik der SPD-Vorsitzenden ganz schnell wieder ins gewohnt Strenge, als sie darauf hingewiesen wurde, dass ihre Partei in Hamburg immerhin gerade rund sieben Prozent verloren habe. „Ich lasse mir das nicht kleinreden“. Die neue SPD-Führung um Esken und Norbert Walter-Borjans wollte erkennbar ein bisschen mitprofitieren vom ersten Wahlsieg seit ihrem Amtseintritt. In Hamburg selbst waren sie während des ganzen Wahlkampfes allerdings nicht gesehen worden. Die Genossen dort verfolgen einen konservativeren, wirtschaftsnäheren Kurs; Spitzenkandidat Peter Tschentscher hatte im innerparteilichen Wahlkampf um den Vorsitz seinen Vorgänger Olaf Scholz unterstützt.

Für die Genossen war es jedoch am Wichtigsten, Platz Eins zu verteidigen, den Chefposten, und das gelang. Die zunächst für sie bedenkliche Aufholjagd der Grünen stoppte bei 25 Prozent. Eine Verdopplung zwar, aber eben immer noch nur Juniorpartner. Alle Grünen-Politiker, die sich am Sonntagabend Journalistenfragen stellten, waren gleichwohl fast euphorisch. Denn so ein Ergebnis war bisher nur einmal in Deutschland übertroffen worden, 2016 von Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg. Außerdem speiste sich das Glücksgefühl von Grünen wie SPD aus  dem schlechten Abschneiden der „Kemmerich-Koalition“ wie Linken-Chefin Katja Kipping es nannte. Vor allem der AfD. Sie flog laut den ersten Prognosen wieder aus der Bürgerschaft, am Ende schien es aber wieder knapp zu werden. „Nazis raus“ wurde auf den Wahlfeten der beiden Koalitionsparteien in Hamburg skandiert.

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