Meinung 500 Jahre Reformation — das ist ein Tag zum Feiern

Die Schlachten sind geschlagen. Was bleibt: die Freiheit des Glaubens, diffundiert durch die Membran der Aufklärung. Seither ist er fragiler — aber billiger nicht zu haben.

Meinung: 500 Jahre Reformation — das ist ein Tag zum Feiern
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Da steht es nun zu Hause auf meinem Schreibtisch, das kleine Luther-Playmobilmännlein. Etwas albern, aber doch ein Verkaufsschlager. Und neben ihm ein Stapel noch ungelesener Reformationsbücher. All diese Analysen und unterschiedlichen Blickwinkel, das ganze Gewicht 500-jähriger Geschichte — auf den Schultern dieses Männleins? Das ist doch wohl ein bisschen viel.

Auch mit der Reformation ist es inzwischen ein bisschen viel. Und je mehr über das Jubiläum zu lesen ist und je mehr Veranstaltungen um Besucher buhlen, desto stärker verfestigt sich der Eindruck: Das war so viel, dass inzwischen wirklich jeder das aus dem Reformationsjubiläum herauslesen kann, was ihm in den Kram passt.

War das jetzt ein Lutherjahr? Oder ein Christusfest? Oder eine Besinnung auf die Reformationswurzeln des Abendlandes? Kirchlicher Aufbruch — oder überzogene Erwartung? Waren die Protestanten selbstkritisch oder selbstbewusst genug? Gibt es neue ökumenische Hoffnung, eine Form der Einheit gar — oder doch wieder konfessionelle Schienbeintritte? Und was ist er nun, dieser Luther: ein Held oder ein Hetzer?

So vielfältig das Reformationsjubiläum betrachtet werden kann, so vielfältig steht der Protestantismus heute da. Diese Vielfalt ist sein Reichtum. Mein Reichtum. Sie steht für die Freiheit des Glaubens, dafür, dass ich die Frage, was ich glaube, nicht delegieren kann und will und muss. Das ist für mich das eigentliche reformatorische Erbe. Und der Grund, warum der heutige Tag für mich nicht nur ein freier Tag ist, sondern auch ein Feiertag.

Und Luther? Ich habe seine Judenhetze gelesen und war angewidert. Ich habe mit Auszügen seiner Tischreden eine Lesung gestaltet und war angerührt. Vor allem aber habe ich nicht das Gefühl, mich noch für Luther oder Luther selbst für irgendetwas rechtfertigen zu müssen.

Denn zwischen ihm und uns liegt ein halbes Jahrtausend. Und Evangelischsein heute speist sich nicht allein aus Luther, sondern aus Tausenden und Abertausenden Männern und Frauen, die durch die Jahrhunderte Glauben weitergetragen, neu formuliert und verändert haben. Und es speist sich aus dem theologischen Sprühregen, der entstanden ist, als der Glaube durch die Membran der Aufklärung diffundieren musste. Seither ist er fragiler geworden, zweifelnder, unsicherer. Aber billiger ist er nicht mehr zu haben.

Die Reformation hat vielleicht mit Luther angefangen, aber bis heute nicht aufgehört. „Kirche der Freiheit“ hat das Wolfgang Huber mal genannt. Ein schöner Begriff, wenn er die Grundierung protestantischer Glaubenshaltung beschreiben will. Ein anmaßend-falscher Begriff, wenn er als konfessionelle Kampfansage verstanden wird. Die katholische Kirche ist keine Kirche der Unfreiheit. Aber ihre Grundierung ist eine andere: Sie ist stärker von der Sorge geprägt, zu bedenkenlose Sanierung könnte am Ende das ganze traditionsreiche Gebäude zum Einsturz bringen. Manches, was sie bewahrt hat, vermisse ich in meiner eigenen Kirche und kann mich daran freuen, dass es an anderer Stelle weiterbesteht. Auf anderes kann ich gut und gerne weiter verzichten. Aber auch diese Schlachten sind geschlagen. Stärken und Schwächen des Protestantismus finden ihren Widerhall und ihre Ergänzungen in den Stärken und Schwächen des Katholizismus. Abarbeiten muss sich daran nur noch, wer nichts anderes zu tun hat.

Heute kann ich den Reformationsmut des Papstes bewundern und seine sozialpolitischen Positionierungen begrüßen. Ich kann verzweifeln, wenn der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki eucharistische Gastfreundschaft, also das gemeinsame Abendmahl, ausgerechnet mit dem Argument ablehnt, das für mich die zwingende Begründung für eine Zulassung ist: dass nämlich Christus selbst zum Abendmahl einlädt und nicht etwa eine bestimmte Konfession. Und ich kann mich im Kreis befremdlicher protestantischer Ausprägungen unwohler fühlen als im Kreis meiner katholischen Freunde.

Sie lesen wie ich die Bibel auf Deutsch. Wir benutzen unterschiedliche Übersetzungen. Und jeder von uns versteht Textpassagen anders, setzt andere Schwerpunkte und hat seine eigenen Methoden, biblische Widersprüche auszuhalten oder auszublenden.

Es gibt auch in der Bibel nicht die eine Wahrheit zu finden. Sie ist selbst ein Buch der Suche und der Suchenden. Auch diese Erkenntnis ist ein Geschenk der Reformation. Glaube taugt nicht als unverrückbares und in Stein gemeißeltes Bollwerk gegen die Unsicherheiten des Lebens, wohl aber als vielschichtiger Weg zu ihrer Bewältigung. Wer die Vielfalt der Schrift gegen vorschnelle Vereinnahmung und interessengeleitete Auslegung verteidigt, redet damit nicht der Unverbindlichkeit das Wort.

Manchmal ist es wichtig für die tägliche Glaubenspraxis, schwere Theologie einzukochen auf einfache Merksätze. Mir fallen da zwei ein. „Gott hat uns in die Freiheit geworfen“, hat mein Vater immer gesagt. Dass er sich dabei ziemlich frech ausgerechnet beim Existenzialisten Jean-Paul Sartre bedient hat, ist mir erst später aufgefallen. Aber bis heute verstehe ich seinen Satz so: Wir können uns bei dem, was in der Welt geschieht, nicht verstecken — hinter keinem Gott, hinter keiner Kirche und auch nicht hinter ihren Amtsträgern. Aber wir können uns bei dem, was wir tun, in freier Verantwortung und Entscheidung von Gott leiten lassen.

Daraus folgt der zweite Merksatz. Er stammt von Frère Roger, dem 2005 ermordeten Prior der ökumenischen Kommunität von Taizé. Von Hause aus Protestant, hat er sich zeitlebens dafür eingesetzt, die verschiedenen christlichen Ausprägungen in gegenseitigem Respekt zu versöhnen, um Raum für Wichtigeres zu schaffen. Sein auf Augustinus basierendes Credo: „Liebe und sag es durch dein Leben.“

Redakteur Ekkehard Rüger ist evangelisch und ehrenamtlicher Prediger (Prädikant).

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