"In die Fresse" und "entsorgen" - Wenn Politiker-Zitate für Skandale sorgen

Nahles hat nach ihrem "In die Fresse"-Spruch nun jede Menge Ärger. Zu Recht. Aber: Bei Politikerzitaten kommt es sehr auf den Zusammenhang an.

 Andrea Nahles hat wegen ihrer Äußerungen jede Menge Ärger.

Andrea Nahles hat wegen ihrer Äußerungen jede Menge Ärger.

Foto: dpa

Berlin. Das war nicht lustig, auch wenn Andrea Nahles laut gackerte. Wie sich die letzte Kabinettssitzung angefühlt habe, fragte eine TV-Journalistin die neue SPD-Fraktionsvorsitzende. „Ein bisschen wehmütig“, antwortete die grinsend. „Und ab morgen kriegen sie in die Fresse“. Haha. Nahles hat nun jede Menge Ärger, zu Recht. Freilich gilt auch für diesen Vorgang: Im Zusammenhang gesehen relativiert sich der Skandal. Wie so oft in der Politik.

Tatsächlich wiederholte Nahles in dem kurzen TV-Ausschnitt eine Szene, die sich morgens im Kabinett abgespielt hatte. Demnach war alles eher eine derbe Frotzelei, „ein Scherz“ (Nahles) unter politischen Konkurrenten. Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) fragte die Noch-Arbeitsministerin: „Na Andrea, bist du schon wehmütig, dass jetzt Schluss ist?“ Nahles antwortete: „Klar, noch genau 20 Minuten. Und dann gibt’s auf die Fresse...“ Die Umstehenden, auch aus der Union, lachten. Es sei, erklärten Nahles‘ Leute am Tag danach, eher im Sinne von „dann kloppen wir uns wieder“ gemeint gewesen. Kam aber nicht so rüber.

Das Beispiel zeigt: Zu jedem Zitat gibt es einen Zusammenhang. Zu jedem Bild auch. Was wurde der damalige Wirtschaftsminister Karl Theodor zu Guttenberg (CSU) nicht beschimpft, weil er sich 2009 in New York in Siegerpose auf dem Times Square ablichten ließ. Er war eigentlich dort, um Opel zu retten. Was die Öffentlichkeit nicht erfuhr: zu Guttenberg musste regelrecht gedrängt werden, dort ein Bild zu machen.

Außerdem stand er zunächst ungelenk herum, ehe er der Bitte der Fotografen folgte, doch mal die Arme zu heben. Ein weiteres Beispiel für täuschende Bilder lieferte im Wahlkampf die Berliner SPD-Abgeordnete Eva Högl bei einem Termin mit Martin Schulz. Der kondolierte gerade vor den Kameras den Terror-Opfern von Barcelona, und man sah im Hintergrund eine feixende Högl. Grund: Sie hatte einfach nicht mitbekommen, um was es vorne ging und fröhlich einen Bekannten begrüßt.

Oft ist der Zusammenhang für die Bewertung entscheidend. Angela Merkel (CDU) hat den Satz „Das Internet ist für uns alle Neuland“ zwar 2013 bei einer Pressekonferenz mit Barack Obama tatsächlich gesagt. Eine digitale Analphabetin ist die Kanzlerin trotzdem nicht. Es ging um neue Bedrohungen der internationalen Sicherheit. Bekanntestes Beispiel ist Jan Böhmermanns Schmähgedicht gegen Erdogan. Jeder Satz ist eine zotige Beleidigung. Der Gesamt-Kontext aber, inklusive der Einleitung, ist Satire und Protest gegen Zensur.

Umgekehrt entlarvt der Zusammenhang Björn Höckes Ausrede, er habe mit der Bezeichnung „Mahnmal der Schande“ für das Berliner Holocaust-Mahnmal in Wahrheit gemeint, dass die Judenvernichtung „eine Schande für unser Volk“ sei. Wer die Dresdner Ansprache des AfD-Rechtsauslegers komplett hört, weiß, dass das eine Lüge ist.

Alexander Gauland beklagte sich, im Vergleich zu Nahles‘werde er für den Satz, die AfD wolle die Regierung „jagen“, über Gebühr kritisiert. Das sei doch nur „metaphorisch“ gemeint gewesen. Ähnlich hatte Gauland auch schon seine Aufforderung, man solle Integrationsministerin Aydan Özoguz (SPD) „nach Anatolien entsorgen“, erklärt. Freilich offenbart der Zusammenhang in diesem Fall, dass es eigentlich noch schlimmer war. Erst belustigte sich Gauland bei seiner Rede im Eichsfeld über den türkischen Namen der (in Hamburg geborenen) Ministerin, und anschließend forderte er: „Ladet sie mal ins Eichsfeld ein, und sagt ihr dann, was spezifisch deutsche Kultur ist. Danach kommt sie hier nie wieder her, und wir werden sie dann auch, Gott sei Dank, in Anatolien entsorgen können.“ Das war eine Mischung aus purem Rassismus und Drohung.

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