Hunger, Angst und Terror im „Brotkorb“ Afghanistans

Kriegseinsatz Im Norden bemüht sich die Bundeswehr um den Wiederaufbau. Doch der wird von den Taliban torpediert.

Kunduz. Oberst Uwe Benecke steht auf der Todesliste der radikal-islamischen Taliban ganz oben. Deshalb gilt so etwas wie Alarmstufe Rot, wenn der Kommandeur des deutschen Provincial Reconstruction Teams Kunduz (PRT) das Feldlager in der nordafghanischen Provinz verlässt. Sechs Feldjäger mit spezieller Ausbildung zum Personenschützer begleiten den Oberst auf Schritt und Tritt.

An diesem Morgen sollen Selbstmordattentäter in Kunduz unterwegs sein. Die Informationen sind diffus - wie so oft. Sie stammen vom afghanischen Geheimdienst oder der Polizei. Manchmal sind es Tipps aus der Bevölkerung. "Gerüchte gibt es jede Menge. Die Kunst ist es, das Richtige herauszufiltern", sagt der Oberst.

Seit dem Herbst leitet er das PRT mit dem Auftrag, ein sicheres Umfeld für den Wiederaufbau des kriegsgeschüttelten Landes zu schaffen. Wobei das "wieder" die Situation beschönigt. Denn hier im Norden baut die Bundeswehr Straßen, Brunnen, Schulen, die es zuvor gar nicht gab - "gemeinsam mit den Afghanen", wie Benecke betont.

Um sich über die Lage vor Ort zu informieren, will der Kommadeur heute Radio "Zohra" besuchen, einen Radiosender, der von Frauen betrieben wird. Sie haben es in der afghanischen Gesellschaft besonders schwer. Die wiedererstarkten Taliban bedrohen Frauen, die einem Beruf nachgehen. "Unsere Anwesenheit stärkt das normale Geschäftsleben", sagt Benecke und setzt sich in eines von vier gepanzerten Fahrzeugen des Typs "Wolf".

Die Fahrt ins wenige Kilometer entfernte Kunduz ist bis ins Detail geplant. Vorneweg fahren zwei Feldjäger, dahinter der Wagen mit dem Sprachmittler, gefolgt von Beneckes Auto und einer Nachhut. "Motorrad von rechts. Dann frei. Auto links." Per Funk lenkt der vorfahrende Feldjäger seine Kameraden über die engen Schotterstraßen der Stadt. Der Abstand zu verdächtigen Objekten soll so groß wie möglich sein. Motorradfahrer, aber auch Personen mit Eselskarren haben sich schon oft als Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt.

Der Sender liegt versteckt hinter einer hohen Mauer. Schnell umstellen die Feldjäger das Gebäude. "Es wäre natürlich einfacher, wenn die Frauen zu uns ins Lager kommen würden", meint Benecke. "Doch da ist die Angst einfach zu groß."

"Zohra"-Chefin Nadjia Khodajar und ihre Stellvertreterin Sarghuna Hassan berichten von andauernden Bedrohungen durch die Taliban. Selbst harmlose Frauenthemen sind den Fundamentalisten ein Dorn im Auge.

"Fast täglich bekomme ich Drohanrufe auf mein Handy", erzählt Sarghuna. Benecke nickt. Er kennt diese Situation. Die Taliban ziehen nachts durch die Dörfer, bedrohen die Bevölkerung und warnen vor einer Zusammenarbeit mit der Schutztruppe Isaf.

Der Konflikt hat allein im Jahr 2008 mehr als 2000Zivilisten das Leben gekostet. Nach Angaben der Nato gingen etwa 80Prozent davon auf das Konto der Taliban.

Wie groß der Einfluss der Extremisten in Kunduz sei, fragt der Oberst. "Die Bevölkerung steht nicht hinter den Taliban", meint Nadjia. Und Sarghuna fügt hinzu: "Ich kann nicht über das reden, was ich in 30Jahren Krieg erlebt habe." Man trinkt Tee. Benecke schaut sich um, verabredet einen weiteren Termin. Dann schlüpft er in seine Schutzweste. Die Kolonne rast zurück ins Lager - vorbei an Ruinen, Frauen in Burka und Männern mit Turban.

"Kunduz wurde einst Brotkorb Afghanistans genannt", erzählt Benecke. Glauben mag man das nicht. Öde braune Hügel, kaum grüne Felder. Invasion und Krieg haben ihre Spuren hinterlassen. Die Russen zerstörten das Bewässerungssystem, weil die Mudschaheddin sich in den Röhren versteckten. "Ganze Generationen sind im Krieg geblieben.

Der Rest weiß nichts über Ackerbau." Dazu komme die Dürre. "Für die jungen Männer gibt es keine Arbeit, sie wissen nichts mit sich anzufangen." So haben die Taliban leichtes Spiel, wenn sie mit Geld um Nachwuchs werben. Dennoch warnt Benecke davor, "alle subversiven Elemente Taliban zu nennen. Das ist das Deckmäntelchen, unter dem man Probleme kaschiert." Genauso bekämpfe man Drogenkuriere, Schmuggler und Diebe.

Seit 2008 wird die Situation im Norden zunehmend explosiver. "Bestimmte Distrikte sind für uns sehr gefährlich geworden." Patrouillen müssten jederzeit mit Sprengfallen rechnen. Benecke setzt auf "gemeinsame Nadelstiche" mit Polizei und Armee. Weihnachten konnten acht Taliban festgenommen werden, die zuvor Fahrzeuge der Bundeswehr in einen Hinterhalt gelockt und das Lager mit Raketen beschossen hatten.

Doch die Freude wehrte nur kurz. Benecke: "Ein paar Tage später waren die wieder frei - mit Schmiergeld freigekauft." Mit dem geheimen Geldgeber sitze er weiter an einem Tisch. "Ich höre mir an, wie er sich über die Taliban empört. Dabei weiß ich genau, dass er die Leute dafür bezahlt, meine Soldaten zu töten." Diplomatie in Zeiten des Krieges.

Seit August 2008 kamen drei Bundeswehrsoldaten ums Leben. Uwe Benecke betet, dass es nicht mehr werden. In den vergangenen Wochen hatte das derzeit in Kunduz stationierte 18.Isaf-Kontingent viel Glück. Doch Benecke sieht der Realität ins Auge. Und die kündigt einen heißen, kriegerischen Sommer an.

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