Harter Kampf um helle Köpfe

Weltweit versuchen Staaten, hoch qualifizierte Arbeitskräfte zu gewinnen. Deutschland zieht dabei oft den Kürzeren.

Berlin. Rainer Brüderle hat gut lachen. Während das Kabinett urlaubt, produziert der Wirtschaftsminister Schlagzeilen. Jetzt war in der "Bild" zu sehen, wie der FDP-Mann ein Titelbild ("I want you for Gastarbeiter") zur Zuwanderungsdebatte freudestrahlend in seinem heimischen Arbeitszimmer aufhängt.

Der von Brüderle losgeschickte Sommerballon verlor jedoch zum Wochenanfang deutlich Luft. Die Regierung hat keine neuen Pläne zur Zuwanderung, sondern will wie gehabt Jobsuchende besser ausbilden. Ein Regierungssprecher erklärte, eine Überarbeitung der erst vor eineinhalb Jahren eingeführten Zuwanderungsregeln sei kein Thema.

Experten wie Bundesagentur-Chef Frank Jürgen Weise raten, angesichts des Geburtenknicks und der immer älter werdenden Bevölkerung das Bildungssystem, die Kinderbetreuung sowie die Förderung von Arbeitslosen zu verbessern. Unternehmen, die es sich leisten können, zahlen schon heute Prämien und Spitzengehälter, um im internationalen Rennen mithalten zu können.

Seit langem bekannt ist, dass 2011 in der EU die neue Bluecard eingeführt wird. Sie ist Europas Antwort auf die legendäre Greencard, die Arbeitserlaubnis mit der die USA seit Jahrzehnten erfolgreich die besten Kräfte ins Land locken. Denn Talente aus Asien und anderen Boomregionen machen um Europa meist einen Bogen. Nach Angaben der EU-Kommission gehen 55 Prozent der topausgebildeten Migranten in die USA - in der EU landen aus dieser Gruppe nur rund fünf Prozent.

Vereinfacht gesagt, wandern in die Europäische Union die falschen Leute ein. Der größte Teil der Migranten (85 Prozent) hat keinen Beruf gelernt oder beherrscht nur einfache Tätigkeiten.

Mit der Bluecard, die Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung kombiniert, soll es besser werden. Mehrere Jahre sollen Fachkräfte in der EU arbeiten, reisen und umziehen können. Wechsel innerhalb eines internationalen Konzerns in die Europa-Filialen sollen zügig und ohne großen Papierkram möglich werden.

Doch das Modell hat nach Ansicht von Fachleuten einen Geburtsfehler. Eine IT-Fachkraft aus China, Indien oder Russland kann zwar die Familie mit nach Europa bringen, eine Arbeitserlaubnis soll der Partner aber nicht automatisch erhalten. Dabei darf jedes Land weiter nach eigenen Regeln entscheiden. Dänemark, Großbritannien und Irland machen bei der Bluecard erst gar nicht mit.

Auch die Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) hat Zweifel, ob die Bluecard ein großer Erfolg wird. Europa brauche zum Beispiel einen einheitlichen Bildungsmarkt, damit ausländische Talente nicht nur in Berlin, Rom oder Madrid studieren, sondern später ohne Probleme einen Job bei einem europäischen Unternehmen bekommen und so dem Kontinent treubleiben, so die Studie. Ziehe Europa dabei nicht an einem Strang, rieben sich die klassischen Einwanderungsländer USA, Kanada und Australien wieder einmal die Hände.

Frank-Jürgen Weise lässt kein gutes Haar an Brüderles Idee einerBegrüßungsprämie für qualifizierte Zuwanderer. Der Bundesagentur-Chefliegt richtig, wenn er feststellt, dass die Potenziale deutscherArbeitskräfte nicht ausgeschöpft werden. Dass das Schul- undUniversitätssystem den Anforderungen des 21.Jahrhunderts nicht gerechtwird. Dass die berufliche Weiterbildung vernachlässigt wird. Aber Weisesollte nicht den Eindruck vermitteln, als brauche Deutschland deshalbkeine qualifizierten Zuwanderer. Denn Brüderles Ansatz stimmt: ImWettbewerb um die klügsten Köpfe haben Länder wie die USA undAustralien uns abgehängt. Während nach Deutschland überwiegendungelernte Kräfte aus rückständigen Regionen strömen, werben dieklassischen Einwanderungsländer erfolgreich um die globale Intelligenz.Wir müssen davon lernen - und unsere Zuwanderungspolitik neu ausrichten.

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