Gysi besänftigt die Linken: Der große Streit ist vertagt

Die Linke beschließt ihr Wahlprogramm, und die Radikalsten halten sich zurück. Fast.

Berlin. Kurz vor der Mittagspause zieht es Oskar Lafontaine in der Max Schmeling-Halle zu den Journalistenbänken. Der Mann strahlt, wie immer rosig, und will sich mitteilen.

Das Gerede im Vorfeld über eine Zerreißprobe? "Der Parteitag arbeitet ruhig und sachlich." Die Spekulationen über eine Spaltung? "Da waren viele Medien mal wieder schlecht informiert." Der anstehende Wahlkampf? "Findet statt auf dem Fundament breiter Geschlossenheit." Zu Nachfragen kommt es nicht mehr.

Wie bestellt geht das Licht aus im Saal, auf der Berliner Parteitagsbühne ziehen Clowns ein und vergackeiern linkisch den Begriff der politischen "Mitte". Lafontaine ist die Delegiertenbelustigung schnuppe. Er hat sein Ziel erreicht: Die Linke fällt bis auf weiteres nicht auseinander. Sie hebt, darum ging es ja schließlich, ein Wahlprogramm auf den Schild, das Lafontaines Handschrift trägt. 1:0 für Oskar.

Den Sieg, den viele Beobachter für unwahrscheinlich hielten und stattdessen das Szenario innerparteilicher Metzeleien zwischen Radikalen (West) und Pragmatikern (Ost) zeichneten, hat Lafontaine nicht allein bewerkstelligt.

Im Grunde genommen: gar nicht. Seine Rede glich nicht ohne Grund einem wirtschaftswissenschaftlichen Proseminar. 75 Minuten lang agitierte der Saarländer über die Flügelkämpfe der vergangenen Wochen hinweg, hielt sich eng an den Leitfaden, das Wahlprogramm, und schob den gut 500 Delegierten einen Präsentkorb vor die Nase, aus dem sich nun alle von halblinks über mittellinks bis nach ganz linksaußen nach Herzenslust bedienen können.

Weg mit Hartz IV! Her mit der Millionärssteuer! Radikal-Umbau der Nato! Grundlegende Veränderung der Einkommensstruktur! Abschaffung der Leiharbeit! Steuerfreies Kurzarbeitergeld! 200 Milliarden Euro Konjunkturprogramm! Und so weiter.

Lafontaine wird dafür nicht wirklich frenetisch gefeiert. Eher gleicht die Durchschnitts-Reaktion im Publikum einem Na-gut-in-Ordnung-weiter-So! Sie war kalkuliert, wird der Ministerpräsidenten-Kandidat an der Saar am Tag darauf mit maliziösem Grinsen erklären und damit anspielen auf eine vereinbarte Arbeitsteilung, die Gregor Gysi, den Chef der Bundestagsfraktion, als eigentlichen Champion dieses Parteitags zurücklässt.

Er war es, der am Samstagabend in einer unterhaltsamen wie kampfeslustigen Rede die losen, aber offenbar noch nicht völlig abhanden gekommenen Enden in dieser Partei zusammenband.

"Respekt. Ohne Gysi wär’ das Ding hier in die Luft geflogen", sagte später ein Delegierter aus NRW - jenem Landesverband, der sich rhetorisch so radikal gebärdet, auf diesem Parteitag aber in jeder Hinsicht nur eine bemitleidenswerte Statistenrollen hatte.

Wenn andere Funktionäre so klingen, als sagten sie zu missliebigen Parteifreunden: Doof bleibt doof, da helfen keine Pillen, hört sich Gysis Abwatschen der vielen Strömungen wie eine humorige Standpauke an.

Die Konfliktlinien wurden nur einmal sichtbar, als Sahra Wagenknecht, Galionsfigur der "Kommunistischen Plattform", ihre beißende Kapitalismuskritik mit dem lautstark beklatschten Hinweis beendete, die Linke arbeite nicht mit "gebrochenen Politkarikaturen a la Müntefering, Nahles und Steinmeier" zusammen. Oskar Lafontaine hatte zuvor bekräftigt: "Wir verweigern uns nicht einer Regierungszusammenarbeit." Ja, was denn nun? Fortsetzung folgt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort