Guido Westerwelle ist gelandet

Der FDP-Chef ist auf dem Höhepunkt seiner Macht angekommen. Nun muss er den Wählern und der Union gerecht werden.

Berlin. Am Tag danach kann der Kanzlerin-Macher noch immer vor Glückseligkeit kaum laufen - auch wenn er sich schon mal in der Pose des künftigen Staatsmannes versucht. Erster Akt: Deutschland, sagt Guido Westerwelle, soll im Laufe der nächsten vier Jahre frei von US-Atomwaffen werden. Vorher muss er noch Außenminister werden. Und Barack Obama überzeugen.

Man muss seinen politischen Lebenslauf mitdenken, um das Triumphgefühl zu ermessen, das den 47-Jährigen erfasst haben muss. Seit seiner Wahl zum Generalsekretär der Liberalen unter Klaus Kinkel 1994 hat der gelernte Rechtsanwalt als Projektionsfläche für so ziemlich alle unschönen Klischees gedient, die Politik zu bieten hat. Jungliberalen-Schnösel zu Kohl’schen Zeiten.

Dampfplaudernder Spaßpolitiker, der sich nicht zu blöd war, Wahlkampf im "Big Brother"-Fernsehzirkus zu machen. Außenminister im Ewig-Wartestand, der schrillen Anspruch (Schuhsohlen-Projekt 18Prozent) und triste Wirklichkeit (Finanzschieber Möllemann) nicht in Einklang bringen konnte.

Als Möllemann 2003 bei einem Fallschirmsprung ums Leben kam, stand Westerwelle, der nach der Trennung der Eltern mit drei Brüdern beim Vater in Bonn aufwuchs, vor dem politischen Aus. Erst 2006, als er Wolfgang Gerhardt als Chef der Bundestagsfraktion ablöste, schlug das Pendel um.

Westerwelle modellierte sich zum ernsthaften Außensachverständigen, reiste nach Moskau und anderswo, ging bei Ziehvater Hans-Dietrich Genscher in die diplomatische Lehre, feilte an seinem Englisch, hielt Grundsatzreden vor der ehrwürdigen Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und warf in Hintergrundgesprächen zuweilen die Frage auf, ob seine offen eingestandene homosexuelle Orientierung womöglich dereinst diplomatische Kabale auslösen würde, etwa in muslimischen Ländern.

Am Sonntagabend hat Westerwelle, nunmehr im achten Jahr am Führungsrad einer Partei, die seit 2001 in 60 von 67Wahlen zulegen konnte, seinen persönlichen Achttausender erklommen: 14,6Prozent! Die CSU deklassiert! Lenker einer mit 93Abgeordneten rekordträchtig großen Fraktion! Designierter Nachfolger von Frank-Walter Steinmeier (SPD) im Auswärtigen Amt! Westerwelles Stil, alles unbeirrt auf die Karte Angela Merkel zu setzen, ist aufgegangen.

Eine Strategie, die Respekt abnötigt, musste er sich doch manche Spitze aus den eigenen Reihen gefallen lassen. "Auf jedem Schiff, das dampft und segelt, gibt’s einen, der alles regelt - und das bin ich", hatte er mal getönt. Was wäre geschehen, wenn er auch beim dritten Anlauf als Spitzenkandidat nach 2002 und 2005 für die FDP wieder nur die Oppositionsbank errungen hätte?

Von heute an wartet auf Westerwelle, der seinen Bonner Direktwahlkreis mit nur 19Prozent der Erststimmen verfehlte, ein delikates Balance-Spiel. Die FDP steht bei ihren Wählern nicht nur mit dem Versprechen von opulenten Nachlässen und der Stärkung von Bürgerrechten im Wort. Ein Satz, an dem man ihn messen wird, lautet: "Ich werde keinen Koalitionsvertrag unterschreiben, in dem nicht ein neues, faires Steuersystem verankert ist." Ein Thema, das mit der Union so nicht zu haben sein wird.

"Erwartungs-Management nach innen", sagen darum Vertraute, wird zunächst seine wichtigste Aufgabe sein. Und nach außen? Von einem Außenminister Westerwelle ist kein Kurswechsel in Afghanistan, Israel, Iran oder Europa zu erwarten. Auch hier muss der Neue an Merkels Seite erst Alltagsluft schnuppern. Und lernen.

Als ein Redakteur des Londoner Senders BBC ihn gestern um eine Antwort in Englisch bat, lehnte Westerwelle höflich ab. Da fängt einer klein an. Getreu seiner Losung: "Wir freuen uns, aber wir heben nicht ab." Guido Westerwelle ist gelandet.

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