CDU Gegen Merkel: Rebellion am rechten CDU-Rand

Seit zehn Jahren verlangt eine kleine, aber lautstarke Minderheit in der CDU immer wieder die Rückkehr zu konservativen Positionen — und ist von der AfD kaum zu unterscheiden. Sie eint die Forderung „Merkel muss weg“.

 Sprecherin des „Berliner Kreises“, der sich als Netzwerk von konservativen Abgeordneten und Mandatsträgern in der Union begreift, ist die Düsseldorfer CDU-Bundestagsabgeordnete Sylvia Pantel.

Sprecherin des „Berliner Kreises“, der sich als Netzwerk von konservativen Abgeordneten und Mandatsträgern in der Union begreift, ist die Düsseldorfer CDU-Bundestagsabgeordnete Sylvia Pantel.

Berlin. Konservative CDU-Abgeordnete und Parteimitglieder fordern nach dem „katastrophalen Ergebnis“ der Bundestagswahl eine „nachhaltige Kurskorrektur in der Asyl- und Migrantenpolitik“. Angesichts der dramatischen Entwicklung müsse die Parteivorsitzende „eine sichtbare Korrektur ihrer Politik“ vornehmen. Es könne nicht in Abrede gestellt werden, „dass die Vernachlässigung der konservativen Wählerschaft Mitursache für das Entstehen und die Wahlerfolge der AfD gewesen sind“, heißt es in einer gemeinsamen Pressemitteilung von „Berliner Kreis“ und „WerteUnion“.

Sprecherin des „Berliner Kreises“, der sich als Netzwerk von konservativen Abgeordneten und Mandatsträgern in der Union begreift, ist die Düsseldorfer CDU-Bundestagsabgeordnete Sylvia Pantel. Dem Kreis gehörten vor ihren Parteiaustritten auch die frühere Vertriebenen-Funktionärin Erika Steinbach sowie AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland an. Prominentestes Mitglied war der Berglisch-Gladbacher CDU-Abgeordnete Wolfgang Bosbach. Von neun Bundestagsabgeordneten, die der Kreis als Mitglieder führt, haben fünf keinen Sitz mehr im 19. Deutschen Bundestag.

Die „WerteUnion“, erst im März in Schwetzingen von knapp 80 „freiheitlich-konservativen Mitglieder der Union“ gegründet, aber angeblich von „zahlreichen“ lokalen und überregionalen Verbänden mit mehreren tausend Mitgliedern unterstützt, forderte in einer eigenen Erklärung die Trennung von Kanzleramt und Parteivorsitz „sowie den Rücktritt von Generalsekretär Peter Tauber als einen der Hauptverantwortlichen für den Linksrutsch der CDU“.

Auf dem nächsten Parteitag solle der komplette Vorstand neu gewählt werden, dem künftigen Kabinett „keine Minister mehr angehören, die durch ihre negative Außenwirkung maßgebliche Verantwortung für das schlechte Wahlergebnis tragen. Dies gilt im besonderen Maße für Ursula von der Leyen sowie Peter Altmaier“, so der WerteUnion-Vorsitzende Alexander Mitsch. Mitte August hatten sich Vertreter von „Berliner Kreis“ und „WerteUnion“ zu einer Strategietagung in Frankfurt getroffen und dabei unter anderem über eine Wiedereinsetzung der Wehrpflicht diskutiert. Eine Fortsetzung der Großen Koalition lehnten sie ab.

Dass die Rebellion vom rechten Rand die Parteiführung oder gar die Kanzlerin sonderlich beeindruckt, darf man bezweifeln. Seit einem Jahrzehnt mahnen vereinzelte konservative Stimmen, die CDU verliere ihr Profil, haben aber seitdem weder wesentlichen Einfluss auf das Programm gewonnen, noch wichtige Positionen innerhalb der CDU besetzen können. Schon 2007 bastelte ein bemerkenswertes Personen-Bündnis (vergeblich) an einem konservativen Manifest. Damals beteiligt: Der inzwischen verstorbene Ex-JU-Chef Philipp Mißfelder, der gescheiterte baden-württembergische Ex-Ministerpräsident Stefan Mappus, die selbsternannte CSU-Hoffnung Markus Söder und der NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst, damals noch CDU-Generalsekretär in NRW.

Nach zwei Jahren schlief die Sache ein, der damalige CDU-Fraktionsvorsitzende im hessischen Landtag, Christean Wagner, nahm mit strammeren Kanzlerinnen-Kritikern (darunter schon damals der Doktorarbeits-Fälscher Karl-Theodor zu Guttenberg) den nächsten Anlauf; 2009 schrieben sie Merkel einen Brief, einige durften zum Kaffee bei der Kanzlerin antreten. Sie bekamen — Kaffee. Sonst nichts. Bald zog der ausbleibende Aufstand echte Partei-Rabauken wie Alexander Gauland und Erika Steinbach an, aber auch ernstzunehmende Konservative wie Wolfgang Bosbach. Der noch namenlose „Berliner Kreis“ raunte von einem Thesenpapier, das man bald vorlegen werde.

Irgendwann hatten Kanzleramt und Konrad-Adenauer-Haus den Kaffee dann auf. Ein aufschlussreiches Bild der Stimmung zwischen Muttis Vollstreckern und den Merkel-Meckerern lieferte 2011 der damalige Kanzleramtsminister Ronald Pofalla, als er Bosbach nach einem Treffen der NRW-Landesgruppe zum Euro-Rettungsschirm erst anblaffte, „Ich kann deine Fresse nicht mehr sehen“, und dann noch nachsetzte: „Du machst mit deiner Scheiße alle Leute verrückt.“

Der CDU-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder warnte die Rechts-Abweichler, ihren Treffen eine Struktur zu geben und ein Clübchen innerhalb der Fraktion zu gründen. Es half nichts. Schließlich bestellte der damalige CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe den „Berliner Kreis“ in die Parteizentrale und warnte bei einem dreistündigen Treffen im Februar 2012 vor einer Zersplitterung der CDU.

Dieser Abend soll der Moment gewesen sein, an dem Alexander Gauland beschlossen habe, sich an seiner Partei zu rächen, schrieb diese Woche ein Spiegel-Kolumnist. Das habe Gauland ihm erzählt. „Jetzt ist Gauland der Lafontaine der CDU. Solange er in der AfD das Sagen hat, wird es keinen Frieden mit der Partei geben, deren Generalsekretär ihm die einfachsten Formen des Respekts verweigerte“, so der „Spiegel“-Mann. Sein Urteil: „Gröhe ist ein Depp.“ Der vermeintliche „Depp“, erfolgreichster CDU-Minister in Merkels Kabinett und in seiner Loyalität zur Kanzlerin unerschütterlich, holte seinen Neusser Wahlkreis mit 44 Prozent der Erststimmen; die AfD blieb im Rhein-Kreis unter dem Bundesdurchschnitt.

Weit mehr Sorgen müsste der CDU bereiten, dass die zahlenmäßig wohl bedeutungslose, aber öffentlich wirksame Anhängerschaft des „Berliner Kreis“ ein Abgrenzungs-Problem zur AfD und — gelinde gesagt — verschrobenen Positionen hat. Im Mai verstand die Düsseldorferin Sylvia Pantel zunächst offenkundig nicht, worin ihre Partei das Problem sah, dass sie unkommentiert einen Facebook-Beitrag eines AfD-Kandidaten teilte. Zusammen mit Philipp Lengsfeld unterschrieb sie im Juni nach dem Ausstieg Donald Trumps aus dem Pariser Klimaschutzabkommen ein Positionspapier, das Merkel kritisierte und von möglichen positiven Effekten des Klimawandels schwadronierte; Lengsfeld verlor sein Bundestagsmandat bei der Wahl.

Die ehemalige Landeschefin der Brandenburger CDU, Saskia Ludwig, gerade am Einzug in den Bundestag gescheitert, verhalf der rechtsgerichteten Wochenzeitung „Junge Freiheit“ durch ein Streitgespräch mit Gauland zu einer "CDU/AfD-Premiere". Der Gründer des „Berliner Kreis“, der frühere hessische Fraktionschef Christean Wagner, unterstützte 2007 das Vorhaben, in Hessen neben der Evolutionstheorie auch die biblische Schöpfungsgeschichte zu behandeln — im Biologieunterricht.

Was die CDU als Volkspartei mehr als solche Gaga-Positionen einzelner irritieren muss, ist, dass die Abgrenzung zur AfD in größerem Stil bröckelt: Die CDU-Landtagsfraktion in Thüringen stimmte nun mit der AfD gegen einen Entschädigungsfonds für die Opfer-Hinterbliebenen der rechtsextremen NSU-Morde. Das kann niemanden verwundern, der die Studie „Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland“ des Institut für Demokratieforschung in Göttingen gelesen hat, den die Ost-Beauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke (SPD), offenbar unter dem Druck der CDU zurückziehen musste: Die Studie machte die CDU-Landesverbände im Osten, namentlich in Sachsen, ausdrücklich mitverantwortlich für das Erstarken des Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern.

Dass ausgerechnet der sächsische CDU-Ministerpräsident Stanislaw Tillich nun in Interviews Merkels Flüchtlingspolitik für das starke Abschneiden der AfD mitverantwortlich macht, verwundert in diesem Zusammenhang nicht. Wörtlich erklärte Tillich unter anderem: „Die Leute wollen, dass Deutschland Deutschland bleibt.“ Der sachsen-anhaltinische CDU-Ministerpräsident Reiner Haselhoff, der Zeit seines politischen Lebens noch nie an der Spitze einer politischen Debatte stand, sprang Tillich weniger lautstark bei und sagte der „Welt“, es gebe im Zusammenhang mit der Flüchtlingspolitik viele gesellschaftliche Fragen zu klären: „Wohin steuern wir? Die Menschen wollen wissen, wie Deutschland seine Identität bewahren kann, wohin sich die EU entwickelt und wie die innere und äußere Sicherheit gewährleistet wird. Wie viele Zuwanderer wollen wir ins Land lassen?“

Wolfgang Bosbach hatte unmittelbar nach der Wahl erklärt, er erwarte, dass die Meckerer sich in der Bundestagsfraktion zu Wort meldeten statt immer nur im Hinterzimmer zu nörgeln. Bisher sei es so, dass die Kritik an Merkel verstumme, sobald die Kanzlerin den Raum betrete.

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