Der NSU und seine Opfer Gedenkbaum abgesägt: Die Schandtat von Zwickau

Düsseldorf · Vor einem Monat wurde ein Gedenkbaum für das erste Opfer des NSU-Terrors gepflanzt. Jetzt wurde er von Unbekannten wieder abgesägt. Das Entsetzen ist groß.

Geblieben ist nur ein weißer Stumpf: Die junge Eiche am Gedenkort für Enver Simsek, das erste Opfer der Terrorzelle NSU, wurde in Zwickau von Unbekannten abgesägt. Die Altersangabe auf dem Gedenkstein stimmt nicht.

Geblieben ist nur ein weißer Stumpf: Die junge Eiche am Gedenkort für Enver Simsek, das erste Opfer der Terrorzelle NSU, wurde in Zwickau von Unbekannten abgesägt. Die Altersangabe auf dem Gedenkstein stimmt nicht.

Foto: dpa/Sebastian Willnow

Der Blumenhändler Enver Simsek ist 39 Jahre alt, als ihn am 9. September 2000 gegen 13 Uhr an einem mobilen Blumenstand am Nürnberger Stadtrand aus nächster Nähe acht Kugeln treffen, darunter vier Kopfschüsse und ein Durchschuss des linken Augapfels. Ein weiterer Schuss verfehlt ihn. Seine Mörder schießen noch auf ihn, als er schon am Boden liegt. Zwei Tage später stirbt der gebürtige Türke im Krankenhaus.

Fast auf den Tag genau 19 Jahre nach der Tat war am 8. September zum Gedenken an das erste Opfer des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) im sächsischen Zwickau eine deutsche Eiche gepflanzt worden. Neun weitere Bäume sollten noch folgen, für jedes der NSU-Opfer einer. Doch noch nicht einmal einen Monat nach der Pflanzung des Gedenkbaums haben Unbekannte ihn jetzt wieder abgesägt. Genauere Erkenntnisse zu Tatzeit und Tätern liegen derzeit noch nicht vor. In Zwickau hatten die drei Rechtsterroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe bis zur Enttarnung 2011 jahrelang unbehelligt im Untergrund gelebt.

Die Zerstörung sorgte bundesweit für Entsetzen. „Diese ruchlose Tat ist mehr als bloße Sachbeschädigung“, reagierte die Zwickauer Oberbürgermeisterin Pia Findeiß (SPD). „Das Absägen des Baumes zeugt von Intoleranz, mangelndem Demokratieverständnis und von Verachtung gegenüber Terroropfern und deren Angehörigen! Es zeigt auch, dass manche leider nicht begriffen haben, welch menschenverachtenden Taten die Terroristen des NSU begangen haben.“

Der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Seibert, bezeichnete das Absägen des Baums am Freitag in Berlin als „schlicht und einfach bestürzend“. Die Tat sei scharf zu verurteilen und müsse aufgeklärt werden. „Denn die lange und lange unerkannte Mordserie des NSU ist wirklich ein Anlass zur Scham.“

Zahlreiche Politiker und andere Nutzer des Kurznachrichtendienstes Twitter äußerten ebenfalls ihre Abscheu. Thomas Kutschaty, SPD-Fraktionsvorsitzender im Düsseldorfer Landtag, schrieb: „Das ist ein Alarmsignal an unsere gesamte freie Gesellschaft.“ Auf dem Zwickauer Schwanenteichgelände schmückten Menschen die Stelle, an der der Baum gestanden hatte, mit Blumen.

Nicht die erste Schändung eines Mahnmals für die NSU-Opfer

Eine ähnliche Schändung eines Mahnmals für die NSU-Opfer hatte es in Zwickau bereits vor drei Jahren gegeben. Damals war eine auf Privatinitiative zurückgehende Installation aus mehreren Bänken mit den Namen der Opfer mit Farbe beschmiert und das Holz beschädigt worden.

Bis der NSU im November 2011 aufflog, hatte sich der Verdacht der Ermittler immer wieder gegen die Familie von Simsek selbst gerichtet, elf Jahre lang. Die Tochter des Mordopfers, Semiya Simsek, hat darüber 2013 ein Buch veröffentlicht: „Schmerzliche Heimat. Deutschland und der Mord an meinem Vater“. Darin beschreibt sie, wie Mutter, Onkel und weitere Familienangehörige verhört und verdächtigt wurden: Drogenhandel, Mafiamitgliedschaft, Schulden, Ehebruch – alle denkbaren Motivlagen wurden in Betracht gezogen. Die Telefone der Familie wurden abgehört, Wohn- und Geschäftsräume durchsucht.

Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz sagte dazu in ihrem Plädoyer während des NSU-Prozesses: „Vorurteile beherrschten die Polizeiapparate so, dass sie nur die Ermittlungsansätze in Richtung organisierte Kriminalität verfolgten und ein rassistisches Motiv für sie nicht denkbar war.“ Sie selbst ist nach dem Prozess mehrfach Ziel rassistischer Drohbotschaften geworden. Die Spur führte zu einer Chatgruppe Frankfurter Polizisten. Mehrere Beamte wurden vom Dienst suspendiert.

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