Energiekrise Städtebund warnt vor Blackouts in ganz Deutschland

Ist es Panikmache oder ein Beitrag zur Vorsorge? Die Kommunen raten, wegen möglicher Stromausfälle im Winter Wasser und Lebensmittel vorrätig zu haben.

 Drohen flächendeckende Stromausfälle in Deutschland - der Städtebund-Chef hält es für möglich.

Drohen flächendeckende Stromausfälle in Deutschland - der Städtebund-Chef hält es für möglich.

Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hat wegen der Energiekrise vor flächendeckenden Stromausfällen in Deutschland gewarnt. „Die Gefahr eines Blackouts ist gegeben“, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg der „Welt am Sonntag“. Die Vorbereitung auf echte Krisensituationen müsse verbessert werden. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) versprach dagegen am Wochenende mit Blick auf die Energiekrise: „Wir kommen da durch.“ Die Menschen in Deutschland spürten, dass sie in einer ernsten Zeit lebten. „Wir haben uns aber vorbereitet“, versicherte der Kanzler in seiner wöchentlichen Videobotschaft. „Wir werden uns als Land unterhaken, weil wir ein solidarisches Land sind.“

Ein Stromnetz-Stresstest der Bundesregierung kam kürzlich zu dem Ergebnis, „dass stundenweise krisenhafte Situationen im Stromsystem im Winter 22/23 zwar sehr unwahrscheinlich sind, aktuell aber nicht vollständig ausgeschlossen werden können“. Dabei ging es um ein Extrem-Szenario, in dem wegen Gasmangels ein Viertel bis die Hälfte der Gaskraftwerke in Süddeutschland ausfallen, zugleich anhaltendes Niedrigwasser den Nachschub für Kohlekraftwerke ausbremst, französische Atomkraftwerke weiter außer Betrieb sind und viele Heizlüfter gleichzeitig genutzt werden.

Experten halten das deutsche Stromnetz allerdings für gut gewappnet. „Die Angst ist zu einem großen Teil Panikmache“, sagte Energieexperte Christoph Maurer vom Beratungsunternehmen Consentec dem Fernsehsender n-tv. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Helmut Dedy, sagte der „Rheinischen Post“: „Wir sollten jetzt nicht mit Panik reagieren, sondern mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung.“ Die Städte wollten 20 Prozent Gas einsparen. Wenn alle gemeinsam dieses Ziel verfolgten, sehe er eine gute Chance, ohne Blackout durch den Winter zu kommen. Zugleich müsse aber auch Vorsorge betrieben werden; Notstrom-Reserven seien notwendig. „Da tragen im Katastrophenschutz Länder und Kommunen gemeinsam Verantwortung“, sagte Dedy.

Landsberg warnte konkret vor der Gefahr einer „Überlastung des Stromnetzes - etwa wenn die 650 000 in diesem Jahr verkauften Heizlüfter ans Netz gehen, sollte die Gasversorgung ausfallen“. Auch feindliche Hackerangriffe seien ein realistisches Szenario. „Wir können flächendeckende Stromausfälle nicht ausschließen“, sagte er. Für diesen Fall sei Deutschland ungenügend gerüstet.

Er forderte die Bürger auf, die Empfehlungen des Bundes zum Katastrophenschutz ernst zu nehmen und Wasser sowie Lebensmittel im Haus zu haben. Bei einem großflächigen Stromausfall „läuft kein Wasser, man kann nicht tanken, nach zwei Tagen kann man sein Handy nicht mehr laden“, beschrieb er. Auch der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, warnte vor massenhaftem Gebrauch von Heizlüftern. Sie zu nutzen sei selbst bei den hohen Gaspreisen teurer als Heizen mit Gas, sagte er dem „Tagesspiegel“. Außerdem könne es Stromnetze lokal an ihre Grenzen bringen, wenn viele Menschen gleichzeitig Heizlüfter betrieben.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) drängt vor diesem Hintergrund weiter auf einen längeren Betrieb der verbliebenen drei Kernkraftwerke. „Habeck und die Ampel riskieren bewusst einen Blackout“, sagte er der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Die Entscheidung, zwei der drei verbliebenen Kernkraftwerke nur in Reserve zu halten, sei „ideologisch getrieben und verantwortungslos“.

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte auf der Grundlage des Stresstests vorgeschlagen, die zwei süddeutschen Kraftwerke für den Fall von Engpässen noch bis Mitte April einsatzbereit zu halten: Isar 2 in Bayern und Neckarwestheim in Baden-Württemberg. Eigentlich sollten alle deutschen Atomkraftwerke zum Jahresende endgültig vom Netz gehen. Eine generelle Laufzeitverlängerung lehnte Habeck ab, was unter anderem für Streit mit der FDP sorgte.

Grünen-Chefin Ricarda Lang rechnet mit Zustimmung ihrer Parteibasis zu Habecks Vorgehen. „Ich bin zuversichtlich, dass der Parteitag den nun eingeschlagenen Weg mittragen wird“, sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Die Mitglieder merken, dass wir es uns nicht leicht gemacht haben.“ Sie betonte, die Reserve solle klar zeitlich begrenzt und eine einmalige Sache sein. Für den Herbst und Winter 2023/24 könne Deutschland mit Gas aus anderen Quellen und erneuerbaren Energien vorsorgen. Einen Wiedereinstieg in die Atomkraft werde es nicht geben.

Auf die Frage, ob die Grünen die Verantwortung für einen Blackout übernähmen, antwortete die Parteichefin: „Die ganze Regierung trägt gemeinsam Verantwortung in dieser Energiekrise. Es werden zahlreiche Maßnahmen ergriffen, die Blackouts verhindern werden - abgesichert durch die Einsatz-Reserve als Ultima Ratio.“

Habeck verliert mitten in der Energiekrise einer Umfrage zufolge deutlich an öffentlichem Rückhalt. Fast die Hälfte der Befragten (49 Prozent) ist der Meinung, dass Habeck aktuell einen schlechten Job macht - Anfang Juni fanden das in der gleichen Befragung nur 26 Prozent. Einen guten Job zu machen bescheinigen ihm in der Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa im Auftrag der „Bild am Sonntag“ derzeit 34 Prozent (Juni: 51 Prozent).

(dpa)
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