Ein Jahr Kosovo: Von Stabilität keine Spur

Vor einem Jahr erklärte sich die serbische Provinz für unabhängig.

Pristina. Sieben übermannshohe Lettern stehen auf einem Platz im Stadtzentrum von Pristina und bilden das Wort "Newborn". Neugeboren: Die mehrfach preisgekrönte Skulptur ist das Wahrzeichen des jungen Staates Kosovo, der sich vor einem Jahr als Neuankömmling in der internationalen Staatengemeinschaft meldete und seine Existenz vor allem den USA verdankt.

Das erste Lebensjahr des Neugeborenen war hart. "Es muss noch richtig laufen lernen", sagt der Abgeordnete Joost Langendijk, Kosovo-Berichterstatter im Europäischen Parlament. "Es muss lernen, sich nicht zu fürchten, sich nicht provozieren zu lassen und auf eigenen Beinen zu stehen."

In Brüssel sind sie mit dem Einjährigen wohl zufriedener als in Pristina. In Brüssel sitzen die EU und die Nato, und denen geht es in erster Linie um Sicherheit und Stabilität in dieser unruhigen Ecke Europas. Die düsteren Prophezeiungen, dass die umstrittene Loslösung von Serbien Gewalt und Blutvergießen nach sich ziehen werde, haben sich nicht bewahrheitet.

Trotz aller Widerstände und Verzögerungen hat die EU ihre bislang größte Auslandsmission in Stellung gebracht: Eulex soll den Kosovaren helfen, Recht und Verwaltung zu organisieren, und hat nach Angaben von EU-Vertretern begonnen, einige Fälle besonders übler Kriminalität aufzurollen.

Für die Sicherheit sorgt in erster Linie die 17 000 Mann starke Kfor-Truppe der Nato. Das funktioniert einigermaßen auch im Norden, wo die serbische Bevölkerungsminderheit wohnt und den Staat Kosovo nicht anerkennt. Von rechtsstaatlichen Verhältnissen, das räumen die EU-Vertreter ein, kann dort vorderhand keine Rede sein.

Bislang haben 54 Staaten die Selbstständigkeit des Kosovo anerkannt. Auch von den 27 EU-Ländern fehlen noch fünf. Die größte Enttäuschung aus Sicht der Regierung in Pristina sind allerdings die islamischen Staaten, von denen erst einige wenige die Anerkennung vollzogen haben.

Die Bevölkerung hat indes andere Sorgen. "Die Zeit des Patriotismus ist vorbei", sagt der Taxi-Chauffeur Agron. Unter seinesgleichen gilt die Unabhängigkeit zwar immer noch als Erfüllung eines Traumes. Zugleich aber wächst die Enttäuschung über die eigene politische Führung und die internationale Gemeinschaft, deren Repräsentanten in den entscheidenden Fragen bis auf weiteres das letzte Wort haben.

Das Kosovo hat die jüngste Bevölkerung aller europäischer Staaten. Nach Schätzungen sind mehr als 70 Prozent der Einwohner unter 30. Allerdings: Die Arbeitslosigkeit liegt bei rund 60 Prozent. Das Wohlergehen des Kosovo hängt daher wesentlich von den Überweisungen seiner Emigranten ab. Das galt auch für Irland und Portugal, das gilt jetzt für Rumänien und Bulgarien. Von insgesamt rund drei Millionen Kosovaren leben eine Million im Ausland.

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