Genf. Die Sterbehilfe der Organisation Dignitas in der Schweiz ist schon lange umstritten. Doch der Bericht des Schweizer Fernsehens über den unterstützten Selbstmord zweier Deutscher auf einem Waldparkplatz der Gemeinde Maur bei Zürich hat einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Als "pietät- und geschmacklos" bezeichnete etwa der Bürgermeister von Maur, Bruno Sauter, den Tod im Auto.
Es ist nicht erste Mal, dass Sauter sich mit Sterbehilfe befassen muss. In seinem Amtsbereich wohnt Dignitas-Gründer Ludwig Minelli. Der heute 75-Jährige soll schon einmal eine todesbereite Deutsche im Auto beim Sterben geholfen haben - vor seinem Haus. Das berichtete gestern zumindest die Zeitung "Blick". "Jetzt ist Dignitas zu weit gegangen", schimpfte ein Parlamentarier im Radio und kündigte neue Initiativen gegen den "Todestourismus" an. Minelli äußerte sich nicht dazu.
Der Tod auf dem Parkplatz wird auch von Bestattungsunternehmer Urs Gerber kritisiert, der sonst zugibt, dass man in diesem Gewerbe "durch einiges durch" müsse. Er spricht von "unwürdigen Rahmenbedingungen", wenn er etwa die Leichname aus dem Auto holen und auf den Boden legen muss.
Dass Minelli provozieren wollte, scheint vielen wahrscheinlich. Schließlich war Dignitas in den vergangenen Wochen nicht mehr aus den Schlagzeilen geraten, weil sich immer mehr Gemeinden im Raum Zürich geweigert hatten, die Genehmigung für die sogenannten Sterbezimmer in Mietwohnungen zu erteilen. Dorthin führte der Dignitas-Chef seine Kunden, wo ihnen ein tödlicher Giftcocktail zur Verfügung gestellt wurde. Den müssen sie selbst einnehmen und dabei wissen, was sie tun.
In vielen Wohngebieten gab es Proteste, weil ständig Kranken- und Leichenwagen vorfuhren. Schließlich wich Dignitas in Industriegebiete aus. Aber auch dort gab es heftigen Widerstand. Dann ging die Organisation in Hotels. Die Besitzer appellierten an Minelli, sie zu verschonen.
Nun also der Waldparkplatz. Sauter will in seiner 9000-Seelen- Gemeinde mit Hilfe wachsamer Bürger verhindern, dass sich so etwas wiederholt. Für Staatsanwalt Jürg Vollenweider gibt es keine Möglichkeit, einen solchen öffentlichen Freitod zu unterbinden. "Wer in der Natur oder etwa in seinem geliebten Auto sterben möchte, kann das natürlich tun", sagt er dazu. Da sei die Rechtslage eindeutig. Und das weiß auch Minelli.
Die Organisation Seit 1998 bietet die Schweizer Organisation Dignitas Menschen Sterbehilfe an. 2006 kamen 195 Sterbewillige zu Dignitas - darunter 120 aus Deutschland - um dort einen Todestrank mit dem Mittel Natrium-Pentobarbital zu sich zu nehmen. Sie bezahlen für das begleitete Sterben 4900 Euro.
Der Gründer Generalsekretär und Gründer des Vereins ist Ludwig Minelli. Der Rechtsanwalt ist auch Chef des deutschen Ablegers Dignitate, der 2005 gegründet wurde. Seitdem ist die Zahl der "Sterbetouristen", deren Reise nach Zürich dort vermittelt wird, deutlich gestiegen.
Dignitas hat ihren Ruf selbst in der liberalen Schweiz beschädigt. Wer Menschen im Auto beim Sterben hilft, der missachtet ihre Würde und macht sich verdächtig: Kommerzialisiert Dignitas die Suizidbeihilfe? Geht es der Organisation darum, möglichst viele Verzweifelte in den Tod zu führen, egal unter welchen Bedingungen? Übt sie sogar Druck auf Kranke aus, den Freitod zu wählen, um Angehörigen nicht zur Last zu fallen?
Das Unbehagen wächst, zumal der wachsende Strom todbereiter Bundesbürger in die Schweiz auf das ethische Vakuum in Deutschland verweist. Die Flucht in den Freitod hängt eben nicht nur mit dem aus allen christlichen Bezügen gefallenen Ideal der totalen Selbstbestimmung zusammen. Sie zeugt auch von der berechtigten Angst, angeschlossen an Kabeln der High-Tech-Medizin nicht sterben zu dürfen. Wir werden darauf neue Antworten finden müssen - es geht um die Würde des Menschen.