Stunde Null Die „Waffenschmiede des Reiches“ Essen lag 1945 in Schutt und Asche

Als „Waffenschmiede des Reiches“ stilisierte das Naziregime Essen. Dafür musste die Bevölkerung bitter bezahlen: Heftige Luftangriffe der Alliierten verwandelten die 650 000-Einwohner-Stadt in eine Trümmerlandschaft.

 Das Gelände der ehemaligen Kruppwerke in Essen nach der Demontage der Maschinen und der Sprengung der Werkshallen. (Archivfoto)

Das Gelände der ehemaligen Kruppwerke in Essen nach der Demontage der Maschinen und der Sprengung der Werkshallen. (Archivfoto)

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Essen. „Herzlich willkommen in der Waffenschmiede des Reiches“ schrieben Essener im Herbst 1937 bei einem Besuch von Hitler und Mussolini stolz auf ein Riesen-Transparent vor dem Hauptbahnhof. Die Industriestadt mit der gewaltigen Krupp-Gussstahlfabrik war viele Jahre einer der wichtigsten deutschen Rüstungsproduzenten und hat sich dafür keineswegs geschämt.

Die Fertigung von Geschützen etwa für das Schlachtschiff „Bismarck“, von Munition und Teilen für Panzer - auch mit dem Einsatz von Zehntausenden Fremd- und Zwangsarbeitern - hat Essen aber kein Glück gebracht: Die Stadt wurde besonders heftig bombardiert und zu rund 90 Prozent zerstört: Die zuvor reiche Industriemetropole war nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nur noch ein Trümmerhaufen.

Den Alliierten galt Essen und speziell Krupp nicht nur militärisch als wichtiges Ziel, sondern als Verkörperung des verhassten Nazi-Militarismus schlechthin. Das zeigte sich etwa 1947 beim Nürnberger Prozess gegen Alfried Krupp, in dem die Anklage der Essener Firma und ihrer Führung unter anderem eine „Verschwörung gegen den Frieden“ vorwarf. Die „verruchte Lebenskraft“ von Krupp habe genau in die moralische Atmosphäre des Dritten Reiches gepasst, sagte der Chefankläger.

Den Mythos als eine der wichtigsten deutschen Waffenschmieden hatte Essen sich bereits im ersten Weltkrieg erworben. Großkanonen wie der 42-Zentimeter-Mörser „Dicke Berta“ wurden weltbekannt, Essener verschickten damals Postkarten mit „Grüßen aus der Kanonenstadt“. Nach der deutschen Niederlage 1918 stürzte das Unternehmen aber mangels Aufträgen in eine schwere Depression und verlor Zehntausende Arbeitsplätze.

Nach dieser Erfahrung habe Krupp-Chef Gustav Krupp trotz des Drucks aus Berlin ein zu einseitiges Engagement im Rüstungsgeschäft gescheut, schreibt der Essener Zeitungsredakteur Frank Stenglein in seiner Krupp-Biografie. Seine Stärken sah das Unternehmen ohnehin eher bei Spezialanfertigungen und im Maschinenbau für den weltweiten Export, im Lokomotiv- und Motorenbau und nicht in der Massenproduktion von Granaten und Kanonen.

Der Rüstungsanteil bei Krupp wuchs so erst langsam, dann aber kräftig und lag im Geschäftsjahr 1938/39 bei 42 Prozent. Mit Kriegsbeginn wurde Krupp zum „Wehrmachtsbetrieb“ deklariert und der Einfluss der zivilen Firmenleitung ging rapide zurück. Kriegswichtige Bestellungen genossen seitdem absoluten Vorrang, Exporte waren nur noch in verbündete Staaten erlaubt. Krupp wurde immer weiter in den Sumpf der Kriegswirtschaft gezogen und zog damit als „Ikone des deutschen Waffenstolzes“ immer stärker den Hass der Kriegsgegner auf sich, schreibt der Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser.

Schon 1940 - noch während des Luftkampfes um England - starteten die Briten, später mit US-amerikanischer Unterstützung regelmäßige nächtliche Angriffe auf die Stadt. Anfangs ließ die Zielgenauigkeit dabei zu wünschen übrig: Die Bomben landeten quer über das Ruhrgebiet verteilt und richteten eher geringe Schäden an. Ende 1942 entwickelten die Briten aber ihr neues, deutlich verbessertes Navigationssystem „Oboe“ und warfen eine Mischung aus Spreng- und Brandbomben mit wesentlich größerer Zerstörungskraft.

Vom März bis Juli 1943 tobte die sogenannte Schlacht an der Ruhr. Dabei wurden in der Region durch Luftangriffe insgesamt 21 000 Menschen getötet und 50 000 Häuser zerstört. Essen erlitt schwere Schäden: „Sie (die Schäden) sind enorm und bieten ein direkt gespenstisches Bild. Man muss sich darüber klar sein, dass diese Stadt zu einem hohen Prozentsatz abgeschrieben werden muss“, schrieb der Nazi-Propagandist Joseph Goebbels nach einem Besuch in Essen am 10. April 1943 in privaten Aufzeichnungen.

„Zwischen jedem Wurf minutenlange Pausen. Dann raste die Hölle über uns von neuem los. Man lag, dicht gedrängt am Boden. Niemand sagte etwas. Nur ab und zu fragte ich in den Pausen, ob noch alle da seien. Beim ersten Wurf flogen schon alle Türen aus den Angeln und zersplitterten. Weltuntergang kann nicht viel schlimmer sein“, schilderte die Essenerin Thekla C. laut einer Dokumentation des Stadthistorikers Norbert Krüger den letzten Großangriff vom 11. März 1945 mit fast 1100 Bombern auf Essen. Bis zum Kriegsende wurden fast 6500 Essener bei den Angriffen getötet, davon allein 900 am 11. März.

Die Krupp-Fabriken waren nach einem Großangriff vom Oktober 1944 schon in den letzten Kriegsmonaten wegen der zerstörten Energieversorgung praktisch lahmgelegt. Nach der Kapitulation begannen die Alliierten mit der Demontage und Sprengungen, die sich bis 1951 hinzogen. Am Ende hatte der Konzern etwa 70 bis 75 Prozent seiner Anlagen verloren, schätzen Historiker.

Viele Essener zahlten mit ihrem Leben oder dem Verlust ihrer Häuser. Vom einstigen Stolz der Stadt, Krupp, wollten sie nach dem Krieg nichts mehr hören. Die Stadt ließ das Alfred-Krupp-Denkmal vor der Marktkirche wegräumen und die Namen Berta und Gustav Krupp von Bohlen und Halbach wurden aus der Ehrenbürgerliste gestrichen. Erst 2006 kehrte das Denkmal an seinen alten Platz in der Innenstadt zurück.

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