Meinung Der Eklat von Erfurt - Ein Schaden, der bleibt

Meinung | Berlin · Das FDP und CDU in Thüringen gemeinsame Sache mit der AfD machten, wird weitreichende Folgen haben, auch für die Parteivorsitzenden. Selbst die Groko ist wieder in Gefahr – und das zurecht.

 FDP-Ministerpräsident Thomas Kemmerich macht Platz für Neuwahlen. Doch der Wahleklat in Thüringen ist längst nicht ausgestanden.

FDP-Ministerpräsident Thomas Kemmerich macht Platz für Neuwahlen. Doch der Wahleklat in Thüringen ist längst nicht ausgestanden.

Foto: dpa/Bodo Schackow

Politisch unbedarfter kann man nicht vorgehen als die FDP in Thüringen - und mit ihr auch führende Liberale im Bund. Erst nimmt Thomas Kemmerich die Wahl zum Ministerpräsidenten an, anstatt klar Nein zu sagen. Dann sekundiert ihm Parteichef Christian Lindner von Berlin aus und wünscht ihm gutes Gelingen. Doch nun zeigt man sich überrascht von den harschen Reaktionen auf den üblen Pakt mit der AfD von Björn Höcke. Nur 24 Stunden später sind Rückzug und die Auflösung des Landtages plötzlich „unumgänglich“. Man muss fast schon froh sein, dass sich diese FDP der Regierungsbeteiligung im Bund verweigert hat.

Ein schnelles Ende mit Schrecken hat Lindner zum Glück in Erfurt noch herbeigeführt. Die politischen Schäden, die die Liberalen und mit ihr die CDU über den Freistaat hinaus angerichtet haben, sind damit aber nicht verschwunden. Erstmals wurde in einem Bundesland eine Regierung von Gnaden der äußersten Rechten ins Amt gehoben. Ein historischer Fehler, der nachwirken und im kollektiven Gedächtnis haften bleiben wird. Die AfD jubiliert, sie ist der Gewinner der großen Dummheit. Was für eine politische Verblendung von Liberalen und Christdemokraten, sich in eine solche Abhängigkeit zu begeben. So verschreckt man nicht nur bürgerliche Wähler.

 Annegret Kramp-Karrenbauer muss nun aufpassen, dass ihr die Große Koalition nicht um die Ohren fliegt, meint Hagen Strauss.

Annegret Kramp-Karrenbauer muss nun aufpassen, dass ihr die Große Koalition nicht um die Ohren fliegt, meint Hagen Strauss.

Foto: nn

Auch wenn in Erfurt jetzt die Dinge mit möglichen Neuwahlen hoffentlich in die richtige Richtung laufen, so müssen sich auch die Protagonisten in Berlin weiter unbequeme Fragen gefallen lassen. Was ist das Wort von Parteivorsitzenden eigentlich wehrt, wenn sich wie in Thüringen niemand darum schert? Das gilt vor allem für die dortige CDU, die sich gestern weiter schwer tat mit Neuwahlen. Wie führungsstark sind Annegret Kramp-Karrenbauer und Christian Lindner noch? Lindners Eingeständnis, für ihn sei zu keiner Zeit absehbar gewesen, dass Kemmerich das Amt überhaupt erreichen werde, ist eine politische Bankrotterklärung des Parteivorsitzenden. Wie extrem angeschlagen er ist, zeigt, dass er an diesem Freitag die Vertrauensfrage in den FDP-Gremien stellen will. Lindner dürfte sie freilich gewinnen, weil es derzeit keine Alternative zu ihm gibt. Aber ausgestanden ist die Angelegenheit für die Liberalen noch lange nicht.

Für Annegret Kramp-Karrenbauer gilt: Sie befindet sich jetzt in einem Zwei-Frontenkampf, den sie kaum gewinnen kann. Zum einen hat der Eklat von Erfurt die Zweifel an ihren Fähigkeiten als CDU-Chefin wieder deutlich verstärkt und damit auch die Vorbehalte gegen eine mögliche Kanzlerkandidatur. Zum anderen muss sie nun aufpassen, dass ihr die große Koalition nicht um die Ohren fliegt. Die Stimmen in der SPD, die lieber heute als morgen die Groko verlassen wollen, waren zuletzt leise geworden. Jetzt werden sie wieder lauter. Und endlich hätte die neue Parteiführung auch einen Grund, mit dem man plausibel das Bündnis aufkündigen könnte: Das Desaster von Erfurt. Wer die Rechten in der Art hofiert und stark macht, mit dem kann die SPD nicht länger in einem Bündnis verbleiben. Ob es so kommen wird, wird vielleicht schon der Koalitionsausschuss am Samstag zeigen.

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