Der mutmaßliche NS-Verbrecher Demjanjuk gab sich als Naziopfer aus

Bad Arolsen (dpa) - Der mutmaßliche NS-Verbrecher John Demjanjuk hat sich nach dem Krieg als Naziopfer ausgegeben und Unterstützung als Flüchtling bekommen. Das geht aus Akten hervor, die beim Suchdienst des Roten Kreuzes (ITS) im nordhessischen Bad Arolsen liegen, bestätigte eine ITS-Sprecherin am Dienstag einen Bericht der „Bild“-Zeitung.

Demnach hatte sich Demjanjuk nach 1945 als „Displaced Person“ bezeichnet und damit ebenso wie befreite KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter als von den Nationalsozialisten Verschleppter gegolten. „Unterlagen aus der Kriegszeit liegen aber definitiv nicht vor, sondern nur zur Nachkriegszeit“, sagte die Sprecherin.

Die Münchener Staatsanwaltschaft hatte einen Haftbefehl gegen den gebürtigen Ukrainer erwirkt, der als Aufseher im NS-Vernichtungslager Sobibor im besetzten Polen an der Ermordung von mindestens 29 000 Juden beteiligt gewesen sein soll.

Vergangene Woche war seine Abschiebung aus den USA nach Deutschland im letzten Moment durch Gerichtsbeschluss gestoppt worden. Ein Berufungsgericht in Cincinnati im Bundesstaat Ohio forderte zunächst weitere Informationen zum Gesundheitszustand des 89-Jährigen an.

Unterdessen hat das Simon-Wiesenthal-Zentrum hat in seinem neuen Jahresbericht Deutschland die Note „gut“ für die strafrechtliche Verfolgung von NS-Verbrechern gegeben. „Nicht alles ist positiv, aber wir glauben, dass sich Deutschland in diesem Jahr beträchtlich verbessert hat“, sagte der Leiter des Jerusalemer Zentrums, Efraim Zuroff, am Dienstag auf Anfrage.

Zuroff hob in diesem Zusammenhang vor allem den Haftbefehl gegen den mutmaßlichen NS-Verbrecher John Demjanjuk hervor. „Das war eine wunderbare Sache für uns“, sagte der Nazi-Jäger.

Das Wiesenthal-Zentrum vergab in seinem neuen Jahresbericht nur an die USA ein „sehr gut“. Danach folgen mit einem „gut“ Deutschland, Serbien und Spanien. Ein F wie fehler- oder mangelhaft erhalten dagegen Österreich, Ungarn, Estland und Litauen. Zuroff hatte im Vorjahr Deutschland zwar erstmals die zweitbeste Note gegeben, lobte in diesem Jahr aber die Bundesrepublik ausdrücklich.

Nach Angaben des Wiesenthal-Zentrums wurden seit 2001 weltweit 76 mutmaßliche Nazi-Verbrecher angeklagt. Nicht das hohe Alter der Verdächtigen sei das größte Problem für eine strafrechtliche Verfolgung, sondern der Mangel an politischem Willen, heißt es in dem Bericht.

Zuroff will auch die Suche nach dem als „Dr. Tod“ bekanntgewordenen NS-Kriegsverbrecher Aribert Heim fortsetzen. Die „New York Times“ und das ZDF hatten Anfang Februar berichtet, dass der frühere KZ-Arzt bereits am 10. August 1992 im Alter von 78 Jahren in Kairo an den Folgen eines Krebsleidens gestorben sein soll.

Für Nazi-Jäger Zuroff ist der Fall dennoch nicht abgeschlossen. „Wir setzen unsere Bemühungen fort, ihn zu finden“, sagte Zuroff. „Es ist möglich, dass die Geschichte wahr ist. Aber es gibt einige sehr ernsthafte Fragezeichen“, sagte Zuroff. „Wenn er (Heim) wirklich 1992 gestorben ist, warum haben sie (die Familie) dann nicht das Geld (Erbe) genommen?“ „Der Fall ist für uns definitiv nicht abgeschlossen“, sagte Zuroff.

Die zehn meistgesuchten Nazi-Kriegsverbrecher

Das Simon-Wiesenthal-Zentrum in Jerusalem hat am Dienstag eine neue Liste der zehn meistgesuchten Nazi- Kriegsverbrecher veröffentlicht:


1) Ivan (John) Demjanjuk - Die Münchner Staatsanwaltschaft hat einen Haftbefehl gegen den 89 Jahre alten gebürtigen Ukrainer erwirkt. Er soll als Aufseher im NS-Vernichtungslager Sobibor im besetzten Polen an der Ermordung von mindestens 29 000 Juden beteiligt sein. Seine Abschiebung aus den USA nach Deutschland wurde im letzten Moment durch ein Berufungsgericht im US-Bundesstaat Ohio gestoppt.

2) Sandor Kepiro (Ungarn) - Der ungarische Polizeioffizier wird verdächtigt, an der Ermordung von mehr als 1200 Zivilisten im serbischen Novi Sad teilgenommen zu haben.


3) Milivoj Asner (Österreich) - Der ehemalige Polizeichef in Kroatien soll aktiv an der Verfolgung und Deportation hunderter Serben, Juden sowie Sinti und Roma beteiligt gewesen sein.

4) Soeren Kam (Deutschland) - Ehemaliges SS-Mitglied, wird beschuldigt, für den Tod eines dänischen Journalisten verantwortlich zu sein. Kam soll das Einwohnerverzeichnis der jüdischen Gemeinde in Dänemark gestohlen und damit die Deportation von dänischen Juden in deutsche Konzentrationslager ermöglicht haben.

5) Klaas Carl Faber (Deutschland) - In den Niederlanden für den Tod von Gefangenen im Transitlager Westerbork und dem Gefängnis von Groningen 1944 zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde 1948 in eine lebenslange Haftstrafe umgewandet. 1952 Flucht aus dem Gefängnis.

6) Heinrich Boere (Deutschland) - Mitglied des SS-Kommandos „Silbertanne“. Weges des Mordes an drei niederländischen Zivilisten 1949 in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Im April 2008 in Dortmund angeklagt.

7) Karoly (Charles) Zentai (Australien) - Nahm 1944 an der Verfolgung und dem Mord an Juden in Budapest teil. Ungarn hat die Auslieferung beantragt.

8) Michail Gorschkow (Estland) - Laut Wiesenthal-Zentrum am Mord an Juden in Weißrussland beteiligt.

9) Algimantas Dailide (Deutschland) - Nahm Juden fest, die später von den Nationalsozialisten und litauischen Kollaboratoren getötet wurden. Von den USA ausgeliefert und in Litauen verurteilt. Musste aber seine Haftstrafe nicht antreten.

10) Harry Mannil (Venezuela) - Nahm Juden fest, die danach von Nationalsozialisten und estnischen Kollaborateuren ermordet wurden. Die Staatsanwaltschaft in Estland stellte Ermittlungen gegen ihn wegen Mangels an Beweisen ein.

In einer Sonderkategorie sucht das Wiesenthal-Zentrum weiterhin nach zwei Nazi-Kriegsverbrechern:
Aribert Heim: Nach Presseberichten soll der als „Dr. Tod“ berüchtigte frühere KZ-Arzt bereits 1992 im Alter von 78 Jahren in Kairo gestorben sein.
Alois Brunner: Der wichtigste bislang strafrechtlich nicht verfolgte Nazi-Kriegsverbrecher, der noch am Leben sein könnte. Der ehemalige SS-Hauptsturmführer gilt als „rechte Hand“ Adolf Eichmanns. Als „Ingenieur der Endlösung“ soll der Österreicher für den Tod von etwa 130 000 Juden aus mehreren Ländern verantwortlich sein. Zum letzten Mal 2001 gesehen.

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