Der Mann, der die SPD retten will

Parteichef Sigmar Gabriel ist seit 100 Tagen im Amt – und nähert sich vorsichtig der Basis.

Berlin. Seine Aufgabe ist ganz schlicht. "Denen müssen wir’s jetzt richtig besorgen." Gesagt, getan. Und damit ist Sigmar Gabriel in seinem Element, so wie neulich, als der Bundestag über die Finanzkrise debattierte. 21 Minuten lang redete Angela Merkel - 46 Mal rief der SPD-Chef dazwischen. "Ich glaube", bemerkte die Kanzlerin maliziös, "der Vorsitzende der SPD kommt sonst nicht oft zu Wort."

Seit 100 Tagen führt er die SPD, weithin unumstritten, ohne große Patzer und mit viel Glück. Denn es war nicht absehbar, dass die bürgerliche Koalition sich selbst schwächt und Oskar Lafontaine die Linke in eine Krise stürzen würde. Beides erleichterte der SPD den Rollenwechsel von der Regierung zur Opposition, der ungleich ruhiger verlief als - anders herum - bei der FDP.

Wenn es einen kritischen Punkt gab, dann die Schlachtordnung der SPD im Bundestag. Überall führt Gabriel das große Wort - nur nicht im Parlament. Das ist das Revier von Frank-Walter Steinmeier. Merkel hat längst versucht, einen Keil zwischen den beiden ungleichen Männern zu treiben, als sie Steinmeier traf. Allein, wohlgemerkt.

Vor Berlinern Schülern erklärte der SPD-Chef unlängst, worum es ihm geht. Die Partei sei dem Neoliberalismus nachgelaufen, freie Märkte, niedrige Löhne, "das haben die Leute uns übelgenommen." Nun geht es - ein Stück weit - zurück, um die Wähler zu versöhnen; und in der Hoffnung, dass die SPD dann wieder näher bei sich ist.

Wie die Partei das anstellt, ist spannend. Alle sozialdemokratischen Ortsvereine werden demnächst zu ihren Anliegen befragt. In den Zukunftswerkstätten darf sich die Partei äußern, derweil ein wirtschaftspolitischer Rat an Konzepten für die Finanzpolitik tüftelt. Korrekturen an der Arbeitsmarktpolitik kommen dazu. Wäre die SPD ein Mensch, dann müsste man sich die Partei als einen Patienten vorstellen, der sich einer Eigenbluthandlung unterzieht, einer Reiztherapie.

Die Revitalisierung ist in den Umfragen der vergangenen Wochen kaum bemerkbar. Aber wer genau hinschaut, sieht Anzeichen von Frische: Dass die Partei in Bayern, Sachsen und Baden-Württemberg von unter 40jährigen geführt wird; dass die Niedersachsen ihre Basis bei der Suche nach einem Chef einbeziehen; dass Gabriel den Kontakt zu jenem Teil der Linkspartei pflegt, den er für pragmatisch hält.

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