Das „Sturmgeschütz der Gleichberechtigung“

Alice Schwarzer kämpft seit fast 40 Jahren für den Feminismus in Deutschland – und sie lässt nicht locker.

Die Republik war empört. "Wir haben abgetrieben" bekannten am 6. Juni 1971 insgesamt 374 Frauen im "Stern", darunter neun Prominente wie Romy Schneider und Senta Berger.

Die Aktion war Anstoß für die politische Diskussion - und die Änderung - des Paragrafen 218, ein Meilenstein der westdeutschen Frauenbewegung und der Ausgangspunkt für die erstaunliche Karriere der Alice Schwarzer.

Und die engagierte Journalistin, geboren in Wuppertal und ehemalige Volontärin unserer Zeitung, legte stetig nach. Im Jahr 1975 erschien ihr Bestseller "Der kleine Unterschied und die großen Folgen", im gleichen Jahr trat sie zum Fernsehduell mit Esther Vilar und deren These an, der Mann werde durch die Frau unterdrückt.

Ihre Argumente wurden zum Teil begeistert aufgegriffen. Dennoch brauchte Schwarzer in diesen Jahren eine gehörige Portion Schneid und Standfestigkeit. Sie passte einfach nicht ins gewohnte Frauenbild, galt in der breiten Öffentlichkeit als eine aggressive Emanze, die sich ruhig ein bisschen netter anziehen könnte.

Doch mit der Zeit kamen ihre Ideen in der Gesellschaft an, zugleich lernte die Feministin immer besser, die Mechanismen des Medienmarktes zu nutzen. Heutzutage sitzt sie bei "Wetten, dass?" und scherzt mit Thomas Gottschalk.

Sie hat längst das Bundesverdienstkreuz und den Bambi. Bei der Übergabe des Ludwig-Börne-Preises 2008 lobte der Altmeister des chauvinistischen Witzes, Harald Schmidt, sie als "Sturmgeschütz der Gleichberechtigung".

Dass sie nicht längst zum nationalen Denkmal geworden ist, ist allein ihr selbst zuzuschreiben - dank Aktionen, die sogar treue Jüngerinnen den Kopf schütteln lassen. Wie kann sie jahrelang Anti-Porno-Kampagnen betreiben und dann 2007 lächelnd für die "Bild"-Zeitung inklusive ihrer Nacktfotos werben?

Im vorigen Jahr reiste die Journalistin durch das diktatorisch beherrschte Birma, beschrieb aber die Situation im Land inklusive der Menschenrechte in rosigsten Farben.

Auch ihre Qualitäten als Chefin der Frauenzeitschrift "Emma" sind ins Gerede gekommen. Sie engagierte die WDR-Moderatorin Lisa Ortgies als Nachfolgerin, doch bevor diese richtig angefangen hatte, warf sie entnervt das Handtuch.

Schwarzer und ihre Redaktion traten so schäbig nach, wie es sich ein männlicher Chef öffentlich nicht mehr erlauben könnte: Ortgies sei "für die umfassende Verantwortung" einer Chefredakteurin nicht geeignet.

Potenzielle Nachfahrinnen, die sich gern "Wir Alphamädchen" nennen, schreiben flott, halten vom politischen Kampf um die Frauenfrage aber wenig. Deswegen muss ab und zu doch wieder Alice Schwarzer daran erinnern, dass in Aufsichtsräten immer noch so gut wie keine Frauen sitzen.

Wer außer ihr macht darauf aufmerksam, dass bei dem Amoklauf in Winnenden elf der zwölf ermordeten Opfer in der Schule weiblich waren, diese Tatsache bei den Ermittlungen aber überhaupt keine Rolle spielt?

Man stelle sich vor, welche individuellen und gesellschaftlichen Analysen in allen Medien bemüht würden, wenn Tim K. in einer deutsch-türkischen Klasse elf Türken erschossen hätte.

"Ich kann nicht die Klappe halten und habe das auch bis ans Ende meiner Tage nicht vor", sagt die "grand old Schachtel des Feminismus" ("Spiegel"). Alice Schwarzer wird noch nerven, wenn keiner mehr weiß, welche Haarfarbe Verona Pooth hat. Der Republik wird es weiter gut tun.

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