Analyse Das Renten-Tabu: Keiner traut sich an die Beamten heran

Sie zahlen nichts in die Sozialversicherung ein, aber ihre Pensionen sind doppelt so hoch wie die meisten Renten. Trotzdem traut sich keiner, die knapp zwei Millionen Beamten für die Rente zur Kasse zu bitten — es ist vielleicht auch keine gute Idee.

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Düsseldorf/Berlin. Wäre die Feierlaune der Sozialdemokraten ein Maßstab, könnte man meinen, Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hätte Angela Merkel die Kanzlerschaft entrissen. Hat er aber nicht. Heils nach SPD-Lesart preiswürdige Leistung besteht in der „Durchsetzung“ eines Rentenpakets, das im Kern bereits im Koalitionsvertrag vereinbart war, mit einem stabilisierten Rentenniveau von 48 Prozent bis zum Jahr 2025. Wie es danach weitergeht, wolle man „im Blick behalten“, so Heil. In zwei Jahren soll eine Kommission etwas vorschlagen.

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Im Detail bringt das „Rentenpaket“ natürlich graduelle Verbesserungen mit sich (Mütter- und Erwerbsminderungsrente, Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, Anhebung der Einkommensgrenze für Geringverdiener), hinterlässt jedoch auch Enttäuschung: So beschwerte sich CDU-intern die NRW-Landesgruppe der Russlanddeutschen, die überproportional häufig von Altersarmut betroffenen Spätaussiedler gingen leer aus. Im NRW-Landtagswahlkampf hatte Ministerpräsident Armin Laschet auf Russisch mit dem Versprechen geworben, die CDU werde sich für eine bessere Spätaussiedlerrente einsetzen. Noch härter sind jüdische Kontingentflüchtlinge betroffen, die nach 1991 nach Deutschland kamen und Spätaussiedlern nie gleichgestellt wurden.

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Vor allem aber drücken sich die Koalitionäre davor, den rund 1,85 Millionen Beamten ein paar unangenehme Ansagen zum Thema Alterssicherung zu machen. Schon lange vor der Bundestagswahl forderten Wirtschaftsverbände und Experten eine Reform der Beamtenpensionen. Der Verband der jungen Unternehmer sprach sich dafür aus, erstens keine neuen Pensionslasten ohne Gegenfinanzierung durch Rücklagen mehr einzugehen und zweitens die bestehenden Pensionslasten durch Einführung eines Nachhaltigkeitsfaktors zu verringern.

Für die gesetzliche Rente gilt: Der „Nachhaltigkeitsfaktor“ drosselt den Rentenanstieg, wenn sich das Verhältnis von Einzahlern und Empfängern verschlechtert. Bei Pensionen gilt: Erhalten die Beamten ein Gehaltsplus, wird es ungedrosselt auf die Pensionen übertragen. Auch wenn der Deutsche Beamtenbund und seine Lobbyisten es abstreiten: Die Unterschiede zwischen Rente und Pension haben bei der Alterssicherung eine Zwei-Klassen-Gesellschaft entstehen lassen. Während Hubertus Heil die (teure) Stabilisierung des Rentenniveaus von 48 Prozent für sieben Jahre feiert, liegt das Pensionsniveau ohne jede politische Diskussion unangetastet bei fast 72 Prozent.

Normale Arbeitnehmer rechnen sich am Ende ihres Erwerbslebens die Tränen in die Augen, wenn sie feststellen, was eine Formel aus Beitragsjahren und Durchschnittseinkommen ihnen übrig lässt. Bei Beamten dagegen wird die Pension nach dem letzten, also dem in der Regel höchsten Einkommen berechnet. Das Durchschnitts-Ergebnis, so berechneten es die Jungen Unternehmer: Nach 40 Dienstjahren bleiben Beamte mit 2219 Euro zuhause, Arbeitnehmer kommen nach 45 Beitragsjahren auf 1448 Euro monatlich. Das sei weniger als die Mindestpension von 1660 Euro, auf die ein Beamter ab fünf Dienstjahren Anspruch habe.

Was „Altersarmut“ bedeutet, haben deutsche Ex-Beamte vielleicht einmal in der Zeitung gelesen oder im Fernsehen gesehen. Betroffen sind sie nach den Unternehmer-Berechnungen nicht: Bei 91,5 Prozent der Pensionäre lägen die Altersbezüge höher als 1800 Euro. Bei gesetzlich Rentenversicherten erreichten die Summe ganze 7,1 Prozent der Männer und gerade einmal 0,4 Prozent der Frauen.

Der übliche (und völlig verständliche) Reflex nicht nur vieler Rentenbeitragszahler geht in eine klare Richtung: Beamte sollen gefälligst ebenfalls in die Rentenversicherung einzahlen. Die Idee klingt verlockend: 1,85 Millionen deutsche Beamte, die in die Rentenkasse einzahlen, würden (zumindest zeitweilig) und dem demographischen Problem abhelfen (siehe Grafiken), dass in Deutschland immer weniger Beitragszahler immer mehr Rentner finanzieren müssen.

2016 wechselten statistisch an jedem Tag des Jahres 3688 Erwerbstätige aus dem Arbeitsmarkt in die Rente. Zusammen waren es rund 1,35 Millionen „Rentenneuzugänge“. 2017 stieg die Zahl der Rentenneuanträge bereits auf 1,63 Millionen. 2016 ließ das WDR-Magazin „Monitor“ von der Ruhr-Universität Bochum untersuchen, was dabei herauskäme, wenn alle Deutschen, also Beamte (und Selbstständige) in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen würden. Ergebnis: „Das Rentenniveau könnte erhöht und gleichzeitig der Anstieg der Beiträge über einen langen Zeitraum gebremst werden.“

Und: „Auch bei einer Anhebung des Netto-Rentenniveaus vor Steuern auf 52,6 Prozent bis zum Jahr 2025, also auf das Niveau vor der Rentenreform 2001, bliebe der Anstieg der Beiträge demnach deutlich unterhalb dessen, was im aktuellen System zu erwarten wäre.“ Bis 2036 würden die Beiträge bei dem angenommenen höheren Rentenniveau auf 22,8 Prozent steigen. Das sei aber lediglich genau so viel, wie die Deutschen auch jetzt schon in ihre Altersvorsorge investieren müssten, „wenn sie — wie von der Politik gefordert — vier Prozent ihres Einkommens in eine Riester-Rente stecken“.

Preisfrage: Wenn es so einfach ist, warum wird es nicht gemacht — außer aus Gründen der politischen Konfliktscheu mit Selbstständigen und Beamten? Ein Teil der Antwort lautet sicher: Genau wegen der Konfliktscheu praktisch aller Parteien wird es nicht gemacht. Ein anderer Teil lautet aber auch: Es ist vielleicht doch nicht so eine gute Idee. Schon heute schieben die öffentlichen Haushalte Milliardenausgaben für Pensionslasten der Zukunft vor sich her, für die sie entweder überhaupt keine oder viel zu geringe Rücklagen gebildet haben. Als Erstes würden bei einem ruckartigen Systemwechsel die Kosten der öffentlichen Haushalte um rund 10 Prozent nach oben schnellen, weil die monatlichen Rentenbeiträge sofort abgeführt werden müssten. Für die Beamten würde der zu zahlende Arbeitnehmeranteil eine faktische Gehaltskürzung in gleicher Höhe bedeuten.

Am Ende des Beamten-Berufslebens käme es noch teurer, nicht nur, weil die Altersstruktur der deutschen Beamten leicht ungünstiger ist als die der Beitragszahler. Damit bei einem übergangslosen Systemwechsel Beamte überhaupt eine Rente bekämen, müsste der Staat sie für alle Jahre nachversichern, in denen vor dem Wechsel keine Rentenbeiträge eingezahlt wurden. „Der Staat“ bedeutet wie immer, wenn es ums Geld geht: der Steuerzahler. Je nach Schätzung könnte diese Form der „Rentengerechtigkeit“ einen mittleren dreistelligen Milliarden-Betrag kosten. Der Rentenexperte Bernd Raffelhüschen kommentierte die Idee gegenüber „t-online“ schon 2016 mit deutlichen Worten: „Wer ein Rentensystem sanieren will, indem er eine Gruppe hereinholt, die älter ist als die schon Vorhandenen, ist dumm wie Bohnenstroh.“

Raffelhüschen favorisiert einen Einstieg in den Ausstieg: einfach weniger Angestellte zu Beamten machen. Tatsächlich könnten sich vor allem die Länder, die mit knapp 1,3 Millionen die meisten Beamten beschäftigen, ihre Organisation einer Aufgaben-Kritik unterziehen. Müssen alle beamteten Beschäftigten des Landes NRW, die in den Verwaltungsdienststellen von Finanzen bis Forst die Aktenwagen über die Flure schieben, wirklich in einem so besonderen Treueverhältnis stehen, dass es ihre praktische Unkündbarkeit und lebenslange Alimentierung rechtfertigt? Muss in jeder JVA jeder Schlüssel von einem Beamten herumgedreht werden?

Was zeichnet deutschlandweit 14 770 von 250 835 Beschäftigten im Bereich „Gesundheit, Umwelt, Sport und Erholung“ so sehr aus, dass (Formulierung des Bundesverfassungsgerichts) „der Dienstherr verpflichtet ist, den Beamten und seine Familie lebenslang amtsangemessen zu alimentieren und ihm einen nach seinem Dienst, nach der mit seinem Amt verbundenen Verantwortung und nach Maßgabe der Bedeutung des Berufsbeamtentums für die Allgemeinheit entsprechend der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse und des allgemeinen Lebensstandards, einen angemessenen Lebensunterhalt zu gewähren“? Für den gesamten Bereich „Bildungswesen, Wissenschaft, Forschung und kulturelle Angelegenheiten“ (1,6 Millionen Beschäftigte, davon 716 100 Beamte) lässt sich die Frage beantworten: gar nichts.

Genau deshalb schlägt Raffelhüschen vor, dort die Verbeamtungen zu beenden. Sachlich gibt es in Bezug auf die Aufgabenerfüllung keinen Grund, Lehrerinnen und Lehrer oder Professoren zu verbeamten. Sie sind anlasslos gegenüber ihren angestellten Kolleginnen und Kollegen bessergestellt — ohne belegbar bessere Leistungen abzuliefern, wie die „Pisa“-Studien beweisen. Im Gegenteil: Jahrelang belegte das Bundesland Sachsen Spitzenplätze. Dort war ab 1990 auf die Verbeamtung von Lehrerinnen und Lehrern verzichtet worden. Klar ist: Der Einstieg in den Ausstieg aus dem Beamtentum — und in etwas weniger Rentenungerechtigkeit — kann nur gelingen, wenn alle Bundesländer an einem Strang ziehen.

Das tun sie ab 2019, allerdings in eine andere Richtung: Unter dem Konkurrenzdruck der Verbeamtungspraxis ringsum hat die sächsische CDU/SPD-Staatsregierung im März beschlossen, dass ab Januar sowohl neu eingestellte als schon beschäftigte Lehrerinnen und Lehrer verbeamtet werden können. Die Regelung gilt bis Dezember 2023. Fast solange wie das Rentenpaket von Hubertus Heil.

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