Corona-Hilfen Chaos um Soforthilfe-Rückforderungen - NRW stoppt Nachprüfungen

Düsseldorf · Die schnelle Unterstützungsleistung von Bund und Land entwickelt sich für die Betroffenen zum Bürokratie-Monster. Am Dienstag hat die Landesregierung die Untersuchungen auf Rechtmäßigkeit ihrer Hilfszahlungen vorerst gestoppt.

 Das Foto zeigt die Internetseite des Wirtschaftsministeriums NRW, die die Soforthilfe in der Coronakrise bewirbt.

Das Foto zeigt die Internetseite des Wirtschaftsministeriums NRW, die die Soforthilfe in der Coronakrise bewirbt.

Foto: dpa/Martin Gerten

Es war eine echte Verheißung und für viele Kleinstunternehmer, Solo-Selbstständige und Freiberufler auch wirkliche Hilfe inmitten der beruflichen Not wegen der Corona-Pandemie. Doch die Corona-Soforthilfe entwickelt sich für viele zum echten Schrecken und bürokratischen Monster, das sie eigentlich nie sein wollte. Weil das Land NRW sich jetzt über seine Behörden  an die Nachprüfung aller vergebenen Gelder gemacht hat, entsteht ein Chaos, das Behörden, Betroffene und Anwälte wohl mühsam auseinander dividieren müssen in den kommenden Monaten. Oder Jahren?

„Die Verwaltungsgerichte arbeiten oft langsam. Diese strittigen Fälle werden sicherlich fünf bis zehn Jahre lang ein Thema sein“, glaubt Rechtsanwalt Dr. Robert Kubach aus der Düsseldorfer Kanzlei Schumacher&Partner. Von der Realität wird er an diesem Dienstagabend überholt: Die Landesregierung stoppt die Nachprüfungen nach massiven Protesten aus der Wirtschaft. Einige Abrechnungsverfahren zu Rückzahlungsverpflichtungen hätten sich als problematisch erwiesen, teilte NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) mit. Die Landesregierung habe dem Bund nun offene Punkte mitgeteilt und halte das Rückmeldeverfahren bis zur Klärung dieser Fragen an.

Auch ein aktueller Fall aus Kubachs Kanzlei zeigt die Probleme: Ein Mandant von Kubach aus Nordrhein-Westfalen hatte die Corona-Soforthilfe für Kleinstunternehmer von 9000 Euro innerhalb weniger Tage vom Land aufs Konto überwiesen bekommen. Der Mandant überwies das gesamte Geld auf eines seiner Geschäftskonten ins Ausland. Und hat jetzt ein Problem, nachdem die Behörden in NRW mit den Nachprüfungen begonnen haben: Die Sparkasse in Düsseldorf als Hausbank hatte die Überweisung ins Ausland an die Grenzzolldirektion gemeldet. Die wiederum an die Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen, die die nationale Zentralstelle für die Entgegennahme, Sammlung und Auswertung von Meldungen über verdächtige Finanztransaktionen ist. Und von dort ging eine Meldung direkt an die Staatsanwaltschaft, die jetzt ein Strafverfahren gegen den Mandanten eröffnet hat. Aus der Corona-Hilfe ist ein einziger Ärger geworden. Jetzt wird ermittelt, ob die vom Land überwiesene Hilfszahlung tatsächlich notwendig gewesen ist und wie sich die Mittelverwendung in der Folge dargestellt hat. Heißt: Soforthilfe-Betrug – oder eben doch nicht?

Laut Anwalt Kubach drohen den in der Coronakrise unterstützen Kleinstunternehmern des Landes jetzt eine Vielzahl von Rückforderungen. Und dem Land eine „Vielzahl von Einsprüchen“, wie er vermutet. „Wenn denn die vielen Firmen dann noch das Geld in dieser Coronakrise auftreiben können, gegen diese Rückforderungen rechtlich anzugehen.“ Zwei weitere von Kubachs Mandanten sind zum Mittelnachweis aufgefordert worden. Der Rechtsanwalt glaubt, manchen Fallstrick in der Soforthilfe-Frage entdeckt zu haben. Etwa dort, wo das Land NRW bezüglich der Mittelverwendung Unterschiede bei den Antragseingangsdaten gemacht hat. „Dass das bei Anträgen vor dem 30. April anders bewertet wird als bei Anträgen, die ab dem 1. Mai gestellt wurden, verstößt womöglich gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Artikel 3 des Grundgesetztes“, sagt Kubach. Demnach hat die Verwaltung gleichliegende Sachverhalte in gleicher Weise zu behandeln. Jedes Bundesland habe zudem sein eigenes Süppchen gekocht, die Lage sei unübersichtlich. Kubach empfiehlt aber, bei Rückforderungen im Zweifel Einspruch einzulegen. „Wo die rechtliche Frage im Fluss ist und die höchsten Gerichte noch keine Präzedenzentscheidung getroffen haben, lohnt sich das. Und das kann dauern.“

Insgesamt erhielten in den Monaten März bis Juni rund 430 000 Solo-Selbstständige, Freiberufler und kleine Unternehmen 4,5 Milliarden Euro Zuschüsse von Bund und Land. Um schnell und unbürokratisch zu helfen, hat das Land zunächst die maximalen Fördersummen von 9000, 15 000 oder 25 000 Euro (je nach Größe der Unternehmen) über digitale Anträge innerhalb weniger Tage ausgezahlt.

Jetzt folgte die unangenehme Nachprüfung: Mit Ende des Antragszeitraums (März bis Mai) wurden die ersten Zuschussempfänger aufgefordert, ihren tatsächlichen Finanzierungsengpass mitzuteilen, mittlerweile wurden mehr als 100 000 Mails versendet. Ein Vorgang, der laut Finanzministerium nicht überraschend komme. „In allen anderen Bundesländern wurden die Geförderten vor Auszahlung gebeten, ihren voraussichtlichen Liquiditätsengpass anzugeben und reduzierte Beträge ausgezahlt. Dieser Prozess wird in NRW jetzt nachträglich durchgeführt, sodass alle Soforthilfe-Empfänger selbständig ermitteln müssen, wie hoch ihr Liquiditätsengpass im Förderzeitraum war“, sagt ein Sprecher des Finanzministeriums. Und: „Einen Verwendungsnachweis mit der Verpflichtung, Belege einzureichen, gibt es nicht.“ Stattdessen, führte Wirtschaftsminister Pinkwart aus, müssten etwa Einnahmen und Stundungen gegengerechnet werden. Wer etwas zurückerstatten müsse, habe dafür zinslos Zeit bis Jahresende.

Dass es jetzt zu rechtlichen Problemen kommen könnte, weil man zum Beispiel den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht beachtet habe, sieht das Finanzministerium nicht: „In den ersten Tagen haben wir Tausende Fragen von Soforthilfe-Empfängern beantwortet und in unseren FAQs gebündelt zur Verfügung gestellt. Hier sind mit der Zeit Fragen hinzugekommen und Antworten konkretisiert worden“, sagt der Sprecher. „Allein die Frage nach den Lebenshaltungskosten blieb anfangs offen, da noch Gespräche mit dem Bund geführt wurden. Nach Abschluss der Gespräche hat das Land zugunsten der Antragsteller mit der NRW-Vertrauensschutzlösung reagiert und den betroffenen Solo-Selbstständigen ermöglicht, 2000 Euro für Lebenshaltungskosten anzusetzen, die aus dem Landeshaushalt übernommen werden.“

Auch der Gastronomieverband Dehoga Nordrhein hat wegen enger Vorgaben vor zahlreichen Insolvenzen in der Branche gewarnt. Weil die Soforthilfen unter anderem nicht zur Abrechnung von Personalkosten verwendet werden dürfen, stünden etliche Betriebe vor dem Aus, heißt es vom Gastronomieverband. „Die nunmehr im Verfahren vorgesehene Ermittlung des Liquiditätsengpasses bringt viele Unternehmer in Rage, Wut und Resignation, da sie die Insolvenz nunmehr konkret auf sich zukommen sehen“, sagte der Branchenvertreter Henning Thomas Graf von Schwerin.

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